Hoffnung am Horizont. Siebenbürgen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Liebe Gemeinde,
habe die letzten paar Arbeitstage mit intensiven Recherchen in diversen juristischen Fachbibliotheken in München (am Institut für Völkerrecht der Ludwig-Maximilians-Universität) und in Regensburg (am Institut für Ostrecht) verbracht. Habe hier versucht, mir einen Überblick über die völkerrechtlichen Normen und Praktiken in Sachen plurinationaler Regionen/Länder zu verschaffen. Nach cca. 60-80 durchgesehenen Büchern und Zeitschriften, von denen ich etwa 10 komplett fotokopiert habe (Danke, liebes Spionage-Smartphone Samsung Galaxy S4!) zeichnet  sich eine optimistische Perspektive ab, die mir so bisher nicht gegenwärtig gewesen ist, trotz früherer sporadischer Beschäftigung mit Völker- und Minderheitenrecht.

…Und zwar wurden im Laufe des XX. Jahrhunderts trotz aller Nationalitätenkämpfe und Ideologien doch einige (ein halbes Dutzend) voelkerrechtliche Normen (v.a. UNO-Resolutionen und sonstige, v.a. europaeische Konventionen) erlassen, die im Zusammenspiel mit Voelkergewohnheitsrecht und konvergierenden Deutungen seitens der Fachwissenschaft den Volksgruppen und nationalen Minderheiten das Selbstbestimmungsrecht IN DER PRAXIS zugestehen – und die Heimatstaaten der betreffenden Minderheiten zur Annahme der Entschluesse der Selbstbestimmung mehr oder weniger verpflichten.

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Die Bibel des Völkerrechts (für Anfänger) – Neuauflage 2014

Konkret und auf Rumaenien bezogen: Siebenbuerger Rumänen, Ungarn, (Rest)Deutsche, Roma, Slawen, sonstige duerfen laut zwingendem Voelkerrecht (ius cogens) selbst entscheiden, welchen Rechtsstatus sie INNERHALB des Staates Rumänien einnehmen wollen – und Rumänien muß diesen selbstbestimmten Status als solches anerkennen und in der Alltagspraxis umsetzen. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn eine nationale/ethnische Gruppe also eine Form der Selbstverwaltung beschliesst (Autonomie) oder sogar eine bundesstaatliche Neugliederung des Landes(!), ist dieser Vorgang rechtlich nicht nur zulaessig, sondern seine Umsetzung durch den Staat Rumänien zwingend vorgeschrieben. Theoretisch, klar – und ohne daß eine Gerichtsinstanz Rumänien dazu zwingen könnte, logisch.
Das ist nicht viel, sagen Sie vielleicht. Und trotzdem: Rumänien hätte seinerseits kein Recht dazu, den Siebenbürgern das Praktizieren des Selbstbestimmungsrechts mit Zwangsmitteln zu verbieten. Und das wiederum ist nicht wenig! Denn faktisch läuft es immerhin auf ein Spiel zwischen Provinz und Zentrum auf gleicher Augenhoehe hinaus – was den Weg zu einvernehmlichen Verhandlungen auf rationaler, argumentativer Basis eröffnet und gleichzeitig den Weg der Aggression für beide Seiten versperrt. Und das wiederum bedeutet viel mehr als bisher gedacht, weil der große Nutznießer Siebenbürgen sein würde!

Glauben Sie nicht? Haette ich auch nicht geglaubt, bevor ich in mehreren einschlaegigen Quellen uebereinstimmend diese Lesart der gegenwärtigen Völkerrechtsnormen und deren Anwendung gelesen habe! Der rote Faden der Argumentation geht folgendermassen: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde erstmals um 1917 (US-Präsident Woodrow Wilson) als neues Prinzip des Völkerrechts postuliert, um in den Jahren 1944-1948 im Rahmen des Gründungsprozesses der UNO noch mehr Gewicht zu erlangen bzw. neben der souveraenen Gleichheit der Staaten und der friedlichen Konflikloesung zu einem der wesentlichen Pfeiler des modernen Voelkerrechts zu werden.

Es folgten in den 1960ern und 1970ern weitere Pakte und UN-Resolutionen ueber buergerliche und politische Rechte, Entkolonialisierung sowie ueber freundliche Beziehungen der Staaten zueinander. In einem weiteren Schub nach 1989 folgten auf europaeischer Ebene (Europarat) neue Charten der Rechte der Regionalsporachen und des Minderheitenschutzes. Diesen allen ist gemeinsam, dass sie Aspekte der Selbstbestimmung der Voelker weiter konkretisiert und detalliert haben – und zwar in dem ENTSCHEIDENDEN Sinne, dass fein säuberlich zwischen dem Recht auf INNERE und ÄUßERE Selbstbestimmung getrennt wurde. Und dieser Aspekt ist auch für das Fallbeispiel Siebenbürgen entscheidend.

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Die Vereinten Nationen (Nachfolger des Völkerbundes der Zwischenkriegszeit), eines der wichtigsten Völkerrechtssubjekte der Gegenwart. Die UNO-Charta und die UNO-Resolutionen: erstrangige Quellen des Völkerrechts nach 1945

Demnach steht erwaehnten Volksgruppen und nationalen Minderheiten BEDINGUNGSLOS das Recht auf INNERE Selbstbestimmung zu – d.h., sie koennen aus eigenem Antrieb und in eigenem Namen den Status festlegen, den sie innerhalb eines betreffenden Staates einnehmen moechten (s. oben). Zu diesen Rechtsnormen kommen eine Reihe von Auslegungen der Rechtsnormen (Stellungnahme des Voelkerbundes zu den Aland-Inseln in Finnland in der Zwischenkriegszeit, UNO-Protokolle zu Indonesien um 1948, Urteile des Internationalen Gerichtshofes/IGH in Haag u.ä.), die deutlich machen, das das INNERE Selbstbestimmungsrecht nicht nur Nationen und Voelkern zusteht, sondern auch Teilen derselben, die z.B. über einen längeren historischen Zeitraum außerhalb eines nationalen “Mutterlandes” leben.

Sollte der Staat diesen von einer Volksgruppe selbst festgelegten Rechtsstatus nicht umsetzen wollen bzw. sogar aktiv dagegen vorgehen bzw. diesen unterminieren, eroeffnet sich der davon betroffenen Gruppe das Recht auf ÄUßERE Selbstbestimmung – d.h., das Recht auf Sezession, sprich Austritt aus dem gegenwärtigen Staatsverband. Oder, um es positiv zu formulieren: Sollte der Staat das INNERE Selbstbestimmungsrecht einer nationalen/ethnischen Gruppe akzeptieren und den neuen Rechtsstatus anerkennen, so erübrigen sich weitere Schritte seitens jener Gruppe und es darf/kann folglich auch nicht das Recht auf ÄUßERE Selbstbestimmung in Anspruch nehmen. Muß sie auch nicht, da sie durch den selbst gewählten neuen internen Rechtsstatus ihre legitimen Interessen auf Fortbestand, angemessener Vertretung in der öffentlichen Verwaltung/Politik/im öffentlichen Raum in aller Regel realisieren konnte.

Da die oben erwähnten multilateralen Vertraege auch von Rumänien unterzeichnet und ratifiziert wurden, gelten diese samt der dazugehörenden Rechtspraxis auch für Rumänien – und für die zahllosen anderen Unterzeichnerstaaten. Daß dieser – zugegeben noch etwas schmale, “schlecht ausgeschilderte” (argumentative) Weg in der Minderheitenpolitik so gut wie unbekannt bzw. ungenutzt ist, nimmt ihm nichts von seiner juristischen “Funktionstüchtigkeit” und logischen inneren Stringenz, schmälert aber stattdessen die Chancen der (anfänglichen) Akzeptanz eines eventuellen Vorgehens einer nationalen Gruppierung nach diesem Schema. Je mehr Gruppen diesen Weg gehen werden/würden, umso mehr würde ihr Vorgehen gesamtgesellschaftlich akzeptiert werden.

Sobald bei mir die Fotokopien und und die Gedanken zu diesem Themenkomplex etwas besser sortiert sind, werde ich die Argumentationskette in ihrer ganzen Länge vorstellen und mit allen relevanten Textstellen belegen können. Für’s erste verabschiede ich mich mit folgendem Schlussgedanken: Die Inanspruchnahme und Umsetzung des inneren Selbstbestimmungsrechtes stellt nach Auffassung zahlreicher Völkerrechtler den optimalen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen einer nationalen Gruppe/Minderheit und jenen des andersnationalen Heimatstaates dar, der beiden den Fortbestand sichern dürfte – erst recht in dem historischen Zusammenhang, in dem der Staat das Wohngebiet der nationalen Minderheit unter Mißachtung des aeusseren Selbstbestimmungsrechtes der/aller dort lebenden nationalen Gruppen erworben hatte – was auf Siebenbürgens Anschluß an Rumänien 1918/1920 (un)bekanntermaßen auch zutrifft.

7 Responses to Hoffnung am Horizont. Siebenbürgen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

  1. ossian says:

    Hoffnung am Horizont? Ich sehe keinen.
    Welche Hoffnung? wessen Horizont?
    Glaubst du, solche Träumereien liegen diesseits des Horizontes jener rumänischen Mehrheit Siebenbürgens, welche doch erst ab den 60er Jahren aus der Moldau dorthin verpflanzt wurde? Und welche Mehrheit bei jedem aufkeimenden Autonomiegedanken sofort mit der von der Zentrale geschürten Angst vor den Magyaren und dem Verlust ihrer neuen Heime verschaukelt werden kann? Glaubst du ernsthaft, diese rumänische Mehrheit Siebenbürgens will sich tatsächlich von der Zentrale größere Freiheiten gewähren lassen? Meinst du echt, die Leistungswilligen von jenen seien immer noch in Siebenbürgen und nicht längst in Spanien, Frankreich oder Deutschland? Hältst du die Zentrale wirklich für so naiv, unbegabt und tatenlos, dass sie irgendeine Autonomiebewegung sei es der Siebenbürger, Moldauer oder auch Kuruzzovlachen soweit gedeihen lassen und nicht durch Geheimdienstmaßnahmen diskreditieren würde, bevor jene Bewegung an Fahrt gewonnen hat?
    Hans, wach auf!

  2. Ossian says:

    Pessimismus ist ein anderer Name für jenen Realismus, der sich auf historische Erfahrungen basiert…

  3. ein Realismus basiert nicht, es sei denn ... says:

    … lieber ossian, ein Nichtdeutscher (der – zugegebenermaßen – recht gut DaF kann) zwingt ihn sprachlich dazu, es zu tun, weil er (der Realismus) es im Rumänischen ebenso tut. 😉
    Du bist doch nicht vielleicht Teil des Apparats, der in der Sache ggf. Geheimdienstmaßnhmen “nehmen wird”?

  4. ossian says:

    Vielleicht, vielleicht auch nicht: ja und nein: wer kann das alles schon wissen, war er tut und warum? es gibt mehr unterm Himmel, als dich deine Schulweisheit träumen lässt… alles nur Desinformation: diese Nachricht und deine Nachricht, mein “basiert sich” und dein blasiertes Ich… 😉

  5. Die Schulweisheit says:

    Verdacht bestätigt, ich danke dir viel für Aufrichtigkeit, ossi!

  6. ossian says:

    Wohl bekomm’s und viel Glück mit dem, was du zu wissen glaubst, Schuli!

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