Albanische Geschichtsschreibung zwischen Forschung, Politik und Ideologie

“Albanische Geschichte: Stand und Perspektiven der Forschung” – so hiess die Tagung, die vor etwas laengerer Zeit (2006) am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien stattfand, deren dazugehoeriger Sammelband 2009 erschien (als Leseprobe hier einzusehen) – und ueber die ich deshalb berichte, weil ich (erneut) Albanisch lerne und von dieser Sprache aeusserst fasziniert bin.

alb111
Oben: Der Tagungsband…

Zwar ist Albanisch ein eigenstaendiger Zweig der indogermanischen Sprachfamilie, hoert sich jedoch an dank seiner engen strukturellen Verwandschaft und lexikalischen Verflechtung mit Rumaenisch, Mazedobulgarisch und Griechisch – zu der unzaehlige Anknuepfungspunkte, Eselbruecken und Parallelen zu Lateinisch/Italienisch, Englisch, Deutsch, Tuerkisch und Ungarisch(!) kommen, wie eine traumtaenzerische Begegnung mit zutiefst  Bekanntem und Vertrautem in ‘unerhoerter’ neuer Form.

In museal-archaisches Gewand gekleidet entpuppt sich Albanisch/”Shqip”, dieses Aschenputtel von der europaeischen Peripherie, als verwunschene Prinzessin aus einer parallelen sprachlichen Maerchenwelt, wo oben aufgezaehlte Sprachen seit jeher und mit der groessten Selbstverstaendlichkeit ineinander zu fliessen scheinen. …Und dadurch Albanisch und dessen Sprecher zu einer Art sprachlichem Mittelpunkt/Nabel/Kreisverkehr des Kontinentes aufwerten.

bilder-rettung 181
Oben: Mein Albanisch-Lehrbuch

Was die Geschichtsschreibung und das Selbstbild der Albaner im XX. und XXI. betrifft, so haben sie sich leider tatsaechlich die Rolle des peripheren, archaischen, ungeschliffenen Uneuropaeers auf europaeischem Boden zu eigen gemacht. Nicht anders als viele Sprecher der Schwestersprache Rumaenisch, deren Heimatland im politischen Werdegang der letzten 60-70 Jahre nicht zu uebersehende, frappierende Aehnlichkeiten und synchrone Momente zu Albaniens Geschichte aufweist. (Die dakoromanische Kontinuitaetsideologie, Ceausescus Personenkult und Isolationismus, die gewalttaetige Machtausuebung haben ihre fast schon ueberdeutliche Entsprechung (und meist Uebersteigerung!) im sozialistischen Albanien…)

Werden/wuerden sich die Albaner der Schluesselstellung und des unerwarteten/kaum bekannten Reichtums ihrer Sprache im indoeuropaeischen Ganzen bewusst – und werden/wuerden sich die Rumaenen ihrer komplexen, faszinierenden, mit dem innerbalkanischen Raum engstens verbundenen fruehen Entstehungsgeschichte bewusst, so wuerden sich beide Nationen selbst den Weg zu einer Harmonisierung der nationalen Identitaet mit der regionalen und gesamteuropaeischen eroeffnen. Diesen Weg zu sich selbst und zu den anderen versperren sie sich allerdings seit dem XIX. und XX. Jahrhundert systematisch selbst, indem sie sich in die gegenwaertigen realitaetsfremden Identitaetskorsetts haben hineinzwaengen lassen.

In welchem Spannungsfeld von Forschung, Politik und Ideologie (und Sachzwaengen) sich die albanischen Geisteswissenschaften – und mithin die albanische Gesellschaft insgesamt befindet, koennt ihr in den unten verlinkten Tagungsberichten sowie im Tagungsband nachlesen. Tauscht man an beliebigen Stellen “Albanisch”/”Albanien” mit “rumaenisch”/”Rumaenien” aus, beamt man sich wiederum direkt in die identitaere Verfasstheit der (national)rumaenischen Gesellschaft der Nachwendezeit bzw. der 2000er Jahre hinein.

Rumaenien hat jedoch gegenueber Albanien nicht nur historisch einen wesentlichen Vorsprung in Sachen eigener, wissenschaftlicher, institutionalisierter Geschichtsschreibung, sondern auch in Sachen Bewaeltigung der eigenen nationalen Mythen. Albanien begann seine wissenschaftliche Historiographie erst 1945(!) – und das auch noch in denkbar unguenstigem politisch-ideologischem Kontext. (Albanienforschung gab es in Laendern wie Deutschland jedoch mindestens 70 Jahre frueher, gegen Ende des XIX. Jhs…)
Rumaenien begann seine Mythen Ende der 90er Jahre zu hinterfragen (v.a. durch Lucian Boia, Sorin Mitu u.a.). Albanien begann damit gut 10 Jahre spaeter. Deshalb kann Rumaeniens Entwicklung in dieser Hinsicht ein Indikator fuer das sein, was auch auf Albanien zukommen wird…
Spannend zu beobachten und mitzuerleben ist dieser Prozess in beiden Laendern allemal…

LINK1: TAGUNGSBERICHT: Die Albaner auf dem westlichen Balkan – Stand und Perspektiven der Forschung (2006).
LINK2: TAGUNGSBERICHT: Eine Gratwanderung zwischen Wissenschaft, Politik und Ideologie: Die albanischen Geisteswissenschaften und die moderne deutsche Forschung zu Albanien – Eine Bestandsaufnahme (2010)
LINK3: Albanische Geschichte: Stand und Perspektiven der Forschung (SAMMELBAND/Leseprobe; 2009)

Posted by at 13/09/2014
Filed in category: Uncategorized, and tagged with: , ,

2 Responses to Albanische Geschichtsschreibung zwischen Forschung, Politik und Ideologie

  1. Anonymous says:

    … um Albanisch und die anderen “Balkansprachen” wirklich zu verstehen sollte man osmanisches Türkisch beherrschen, sowohl was Sprache als auch was (osmanische) Schrift anbelangt. Man hat sonst keinen vernünftigen Zugang zu vielen Quellen und versteht die unendlich vielen Türkizismen in all diesen Sprachen kaum richtig. Es gibt in diesem “balkanesischen Kulturraum”, zu dem auch der rumänische zählt, 3 große kulturelle Leitsprachen und Leitkulturen: Das Griechische, das Lateinische und das Osmanische. Wie ein roter Faden durchziehen auch alle nichtslawischen Sprachen dieses Raumes starke slawische – zumindest lexikalische – Elemente.

    Die nahezu paranoide offizielle Ausgrenzung des muselmanisch osmanischen Kulturelementes aus so gut wie allen diesen Kulturen dieses europäischen Raumes ist ein veritabler “Schuss ins Knie”.

    Was die Gier und Blödheit der damaligen “europäischen Eliten” – vor allem der diversen (und perversen) Ihrogottesgnaden aller Art verbrochen haben, hat den osmanischen Eroberern den Weg geebnet. Dennoch, diese osmanischen Eroberer waren auch große Kulturbringer und ihre offiziell längst abgehalfterte Leitkultur wirkt in allen Kulturen dieses Raumes unverändert und auf unabsehbare Zeit weiterhin nach.

    Im Fall Albaniens muss auch klar das Ausbluten der Eliten dieses Landes und Kulturraumes im Dienste des Osmanischen Imperiums erwähnt werden. Namen wir Köprülü oder Mehmet Ali sind nur kleine Mosaiksteine in diesem interessanten Mosaik. Dabei sollte immer berücksichtigt werden, dass die ethnischen Zuordnungen auf Grund der gern praktizierten Mischehen nie ganz klar getroffen werden konnten. Dennoch ist der Abfluss „albanischen Genies“ ins Osmanische Imperium eine Tatsache. Schwer abzuschätzen ob das auch „im Lande“ zu nutzen gewesen wäre …

    Raffen wir uns zu einem Blick aufs Ganze auf und lassen wir uns nicht durch perfide Propaganda das Hirn zupappen! Wir wiederkäuen doch unverändert noch immer die Dreckspropaganda von den diversen Ihrogottesgnaden …

    Und jetzt gießt man uns täglich aus dem Tausendeimerfass die widerwärtigste antimuselmanische (antiislamistische”) Hetzpropaganda in die durch Massenmedien und Internet vernebelten Gehirne um einen neuen Weltkonflikt herbeizuschwatzen und auch herbeizubomben. Wehren wir uns dagegen!

    • anonymus 2.0 says:

      Bei solchen Kommentaren: magst nicht besser einen eigenen blog aufmachen?

Counter created by lite 1.4