2014, 1914, 1814, die Deutschen und die Ungarn. Oder: Ein neuer Wiener Kongress muss her!
RO: La 100 de ani dupa izbucnirea Primului Razboi mondial se ‘admite’, incet dar sigur, o noua perceptie generala asupra cauzelor si urmarilor acestei tragedii europene. Germania este unul dintre beneficiarii acestei reasezari istoriografice si de comunicare massmedia. Ungaria i-ar putea urma, cu beneficii pe termen lung nu doar pentru maghiarii din ‘bazinul carpatic’ ci si pentru tarile vecine. Avem nevoie de un nou “Congres de la Viena” – si poate ne alegem cu o Confederatie Danubiana cu tarile din zona…
EN: 100 years later… The causes and follow ups of WWI are being discussed more and more in realistic terms, leaving behind ideology, egotic postions and interests (of the former winner states). Germany is the ‘winner’ of this new shift – due to its efforts to play a pragmatic, integrative and innovative role in Europe. Hungary, ist geostrategic ‘little brother’, could follow the German model to the advantage not only of the Hungarian nation in the eight(!) contries of the region but of this neighboring countries as well. What about a new Congress of Vienna – and the creation of a Danube Confederation?
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Dieses symboltraechtige (Negativ-)Jubilaeumsjahr 2014 bringt neue und neue (positive) Ueberraschungen in Sachen Geschichtsschreibung und Geschichtsinterpretation hervor. Hundert Jahre nach Beginn des “Grossen Krieges” (bzw. der ersten Halbzeit des Europaeischen Buergerkrieges von 1914-1945) kann man in neuerschienenen Sachbuechern sowie in den Mainstream- und Leitmedien an sich wohlbekannte aber bisher sorgsam gemiedene/versteckte Wahrheiten ueber Kriegsursachen, Kriegsschuld und Kriegsausgang lesen, die die bisherigen simplen Freund-Feind-Ideologeme abloesen.
Den Mythos der alleinigen deutschen Kriegsschuld anno 1914 hinterfragt Christoph Clark in “Die Schlafwandler“. Den Mythos von den gerechten Friedensvertraegen von Versailles (und implizit Trianon) anno 1919/1920 zerpflueckt Adam Tooze in “The Deluge” – und sogar der SPIEGEL schliesst sich anstandslos der Schlussfolgerung (und Binsenweisheit) des Autors an, dass ‘Versailles’ mehr oder weniger direkt, wenn auch zeitverzoegert zu Weltkrieg Nr. 2 fuehrte. Dieses vor allem auch wegen des Verrats der USA (Praesident Wilson) an den eigenen Prinzipien (“Selbstbestimmungsrecht der Voelker”), aufgrund derer die neuen Grenzen der Nationalstaaten eigentlich haetten gezogen werden sollen, was aber zugunsten geo- und wirtschaftspolitischer Ueberlegungen und Egoismen geopfert wurde.
Die kolonialpolitisch inspirierten Grenzziehungen teilweise mitten durch ethnisch kompaktes Kernland sind vor allem aus Sicht des “grossen kleinen Verlierers” Ungarn schmerzhaft (gewesen) – ebenso wie die hierarchische Unterordnungsposition und systematische Marginalisierung/Benachteiligung, in die ethnische Ungarn in diesen neuen ethnokratisch regierten neuen “Heimat”laendern hineinforciert wurden.
Diese beiden Aspekte (geopolitisch motivierte Grenzziehungen + ueber 90 Jahre ethnokratisch motiviertes ‘Ungarn-Bashing’), die in der oeffentlichen Debatte in den Nutzniesserstaaten der 1920er Grenzziehungen (die Nachbarnstaaten Ungarns) bis in die Gegenwart tabuisiert und routinert-reflexhaft als Ausdruck des ungarischen ‘Revisionismus’/ ‘Revanchismus’ umgedeutet wird, werden andernorts (z.B. in Muenchen) schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten in etablierten universitaeren Einrichtungen nuechtern untersucht und praesentiert. (Genauso nuechtern wie die Verfehlungen/Verbrechen der ungarischen nationalistischen Politik vor 1914 oder auch waehrend des II. Weltkriegs…)
Ueber die vielfachen Graeueltaten der ungarischen Armee waehrend des Ukraine-Feldzuges 1941-42 schrieb Krisztian Ungvary, der ungarische Nachwuchshistoriker ueberhaupt, schon vor 10 Jahren in Ungarische Besatzungskraefte in der Ukraine 1941–1942. 2014 wiederum liest man im Internet Ungvarys Aussage, dass die Grenzziehungen von Trianon aus seiner Sicht mit die ungerechtesten nach dem I. Weltkrieg waren. Schenkt man dem Historiker Glauben, wenn er Ungarn als Taeter portraitiert, duerften auch seine Behauptungen zur Opferrolle Ungarns korrekt sein, oder?
Dass Ungarn bis 1989 das Thema Trianon ofiziellerweise praktisch nicht angeruehrt hat, duerfte positiv zu werten sein – v.a. im Kontext des hysterischen Antimagyarimus in Rumaenien (teilweise in der Slowakei) in den letzten beiden sozialistischen Jahrzehnten und im ersten postsozialistischen Jahrzehnt. Dass Ungarn in diesem Regionalkontext (mit zeitlicher) Verzoegerung das (Tabu)Thema in die oeffentliche Debatte geholt hat, ist so gesehen fast schon unvermeidlich und von der Problematik selbst induziert. Dass es die Trianon-Thematik ziemlich verdruckst und mit nationalistisch-autoritaerem Pathos angeht, ist alles andere als von Vorteil fuer das Land und sein einstmals positives Image – und hoechstwahrscheinlich auch Ausdruck einer inhaerenten ungarischen Kommunikationsschwaeche, was die legitimen Interessen der Ungarn in den von ihnen bewohnten Gebieten betrifft.
Alles in allem duerfte sogar bei nuechterner Betrachtung der ungarische “Radikalismus” in Ungarn und in den ungarischen Gemeinschaften in den Nachbarlaenddern im Vergleich zu den radikalen Forderungen, Projekten und Politiken von Katalanen, Basken, Schotten, Nordiren, bosnischen Serben, russichsprachigen Gruppen in der Ukraine, Kurden usw. der bisher naivste und zahmste ueberhaupt sein:
– KEINE Unabhaengigkeits-, Grenzveraenderungs- oder Anschlussbestrebungen an Ungarn,
– KEINE bewaffneten Paramilitaers/Buergerwehren,
– KEINE “affirmative action” Politiken zur Durchsetzung bereits jetzt zugesicherter aber nicht umgesetzter sprachlicher Rechte usw.
– KEINE Systematik in der rechtlichen Untermauerung ungarischer Forderung. So z.B. wird in der Regel komplett versaeumt, staatlicherseits die Anerkennung der Auslandsungarn als einheimische Bevoelkerung und deren proportionale Vertretung in staatlichen Aemtern (Polizei, Armeefuehrung, Geheimdienst, Staatsfirmen) sowie in den staatlichen Medien (Sendezeiten in eigener Muttersprache) und im oeffentlichen Raum (ungarischsprachige Aufschriften an Gebaeuden, Werbetafeln usw.) zu fordern. Nicht zuletzt wird die bewusste Veraenderung der nationalen Zusammensetzung ungarisch gepraegter Staedte z.B. in Siebenbuergen zuungusten der ungarischen Bewohner weiterhin schweigend hingennommen.
Trotz alledem ist z.B. in rumaensichsprachigen Massenmedien nach wie vor immer wieder (terminlich oft gut gezielt) von der “ungarischen Gefahr” fuer Rumaenien die Rede. Die Slowakei ist so weit gegangen, seinen (ungarischnationalen) Staatsbuergern die slowakische Staatsbuergerschaft abzuerkennen, wenn sie parallel dazu auch die ungarische angenommen haben. Die Aberkennung der Staatsbuergerschaft sollte in demokratisch verfassten europaeischen Rechtsstaaten eigentlich ein Tabu sein, aber keiner stoert sich an all diesem – auch nicht die zahlreichen vermeintlichen “Ungarn-Spezialisten” im westlichen Ausland (und in Ungarn), die sich ebenfalls dem bereits etablierten, rituellen Ungarn-Bashing widmen.
Scheinbar bessert sich in juengster Zeit etwas in Sachen ungarischer Kommunikation: Der ungarische Vizepremier brachte in Siebenbuergen neulich die Autonomieforderungen der Auslandsungarn ins Gespraech und betonte dabei mehrfach, dass Autonomie keine ungarische Erfindung sei – und schon gar nicht zum Zwecke der Unterwanderung der betreffenden Staaten -, sondern ein Modell, das in mehreren EU-Laendern erfolgreich angewandt wird. Folglich stuende auch den Ungarn das zu, was anderen EU-Minderheiten zusteht. Das ist einfach und logisch argumentiert und oeffnet rumaenischen oder sonstigen Propagandafraktionen keine Angriffsflaechen. Entsprechend entspannt und positiv schrieb die Bukarester Intellektuellenzeitschrift Revista 22 darueber!
Genau die ungewuenscten Angriffsflaechen und Moeglichkeiten der Fehldeutung boten jedoch ueber die letzten zweieinhalb Jahrzehnte die Stellungnahmen des ungarischen Revolutions-Pastors von 1989, Laszlo Tokes. Man konnte bei seinen Stellungnahmen manchmal glauben, er wuerde eher im Interesse des rumaenischen Geheimdienstes agieren.
Zurueck zu Deutschland, dem historischen Grossen Bruder und (Beinahe)Nachbar Ungarns: Die amerikanische Newsweek brachte am 18. Juli eine vorbilddlich unbefangene, positive Titelgeschichte ueber Deutschlands Erfolge und seine Vorbildfunktion in vielen Bereichen weltweit – und darueber, wie es von seinen Nachbarn und Mitkonkurrenten europaweit nicht mehr als Bedrohung empfunden wird. Seine Faehigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik, seine positive, konstruktive., vermittelnde Rolle in der internationalen Politik bei gleichzeitiger bewusster Nutzung seiner Mittellage in Europa – das sind einige der Zutaten des ‘Neuen Deutschland’ 2014.
So wie viele Laender deutsche Expertise suchen, koennte/sollte auch Ungarn etwas davon nachahmen, denn seine privilegierte aber auch exponierte Mittellage im Karpatenbecken wird ihm niemand nehmen – die ist geographisch vor”formatiert”. Ungarn und die Ungarn muessen nur aehnlich bewusst und innovativ aber auch ganzheitlich-inklusivistisch und im historischen Rueckblick selbstkritisch damit umgehen lernen und sie werden sich bestens darin einrichten und gleichzeitig mit den vielen (noch) Erzrivalen um Ungarn herum arrangieren koennen. Ganz ohne Pathos, Nationalismus und autoritaere, antieuropaeische Gesten – und ohne das Tabuthema seiner nachteiligen Grenzziehungen ueberhaupt strapazieren zu muessen.
Das Ganze haette laengerfristig Potential fuer eine genuine, zwischen Ost und West ausgleichend wirkende Donaukonfoederation als Alternative zum frustigen, kleinstaatlich-provinziellen Zwischeneuropa von 1919/20 bis heute, um dessen Hegemonie Frankreich, Deutschland, Amerika und Russland glauben streiten zu muessen. Mit erwachsen gewordenen Nationen und Staaten in Mittel- und Suedosteuropa braeuchten wir keinen Vormund mehr.
FAZIT: Ein neuer Wiener Kongress muss her! 200 Jahren nach dieser gesamteuropaeischen diplomatischen Grossleistung tut das auch Not…