Staatsnationalismus in Ungarn und Rumaenien im historischen Vergleich
Bin unterwegs nach Budapest zur Tagung der deutschsprachigen Andrassy-Universitaet zum Thema Nationalitaetenpolitik und ethnische Homogenisierung in Ungarn und Rumaenien von 1867 bis 1918. Der Vergleich zwischen den Staatsnationalismen HUs und ROs ist laengst faellig und haelt gewiss so manche erleuchtende Erkenntnis bereit. Ueber das harte Los der Siebenbuerger Rumaenen in Grossungarn wurden ganze Bibliotheken an wissenschaftlicher, pseudowissenschaftlicher und mobilisierender Vulgaerliteratur geschrieben und breit gestreut. Ueber das womoeglich noch haertere Los der Ungarn in der Moldau (Csangos) und anderer ethnischer Gruppen in Altrumaenien in demselben Zeitraum (z.B. in der Dobrudscha) ist selbst der rumaenischen Oeffentlichkeit bsiher fast nichts bekannt. Erst recht nicht dem Internationalen Publikum.
Das Festetics-Palais in der Pester Innenstadt, Sitz der Andrassy-Gyula-Universitaet
Die wichtigste Erkenntnis bei der Beschaeftigung mit diesem Thema duerfte eventuell die sein, dass die nationalistischen Politiken genannter Staaten jeweils synchron gingen mit jenen im westlichen Kolonialeuropa. Zufaellig las ich gestern auf Wikipedia darueber, dass England den Schotten ab 1872 das Sprechen ihrer eigenen gaelischen Sprache verboten hatte, was zu deren fast vollstaendigem Verschwinden gefuehrt hat, obwohl sie im 18. und 19. Jh. noch gaengige Alltagssprache war.
…England! Das Land der Freiheit und des Befreiungsbusiness schlechthin, das bei Friedensverhandlungen traditionell als Sieger, Richter und Trend- und Agendasetter aufzutreten gewohnt ist… England, das 1919-1920 die heutigen Grenzen Mittelosteuropas und Ungarns entscheidend mitgestaltet hat – zusammen mit Frankreich, das ethnische Gemeinschaften als solche auf seinem Staatsgebiet gar nicht erst akzeptierte und auch heute keine ethnischen Minderheiten anerkennt. Frankreich, wo vor 1789 Franzoesisch angeblich nur von einer Minderheit gesprochen wurde – aehnlich wie im Ungarn des 19. Jhs… Der argumentative Vorwand Frankreichs fuer die geopolitisch motivierte Zerstueckellung Grossungarns war dessen restriktive bis diskriminierende Nationalitaetenpolitik. Nach diesem Kriterium haetten sich jedoch als allererstes Frankreich und Großbritannien selbst zerstueckeln muessen als Strafe fuer ihre eigene destruktive Nationalitaetenpolitik… Oder etwa nicht?
Bin gespannt auf die Vortraege und werde darueber berichten. Ebenso werde ich auch ueber die AKSL-Jahrestagung in Graz und die Siebenbuergische Akademiewoche in Probstdorf (Stejarisu, eigentlich ‘Prostea’) im Harbachtal schreiben. Beide wissenschaftlichen Ereignisse fanden im August statt…
LINK: Tagungsprogramm-Andrassy-Uni2014