Rote Handschuhe, verlorene Soehne und ein deutsches Filmteam. Oder: Mit Eginald Schlattner auf Besuch im Knast

Uebersetze gerade ein paar beeindruckende Dokumentarfilm-Dialoge aus dem Zeidener Gefaengnis. Eginald Schlattner, der wohlbekannte – wenn auch teilweise umstrittene – saechsische (Gefaengnis)Pfarrer und Romanautor bei einer Andacht und im Gespraech mit einer Handvoll Verurteilten in der Knast-Kapelle – gedreht Anfang-Mitte September d.J. vom Hamburger Regisseur Fabian Daub, bekannt fuer seinen vielbeachteten, preisgekroenten Rosia-Montana-Film von 2012.

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Eginald Schlattner

Ueber ESch muss und will ich mich nicht ausbreiten – auch nicht ueber seine intensiv diskutierte Vita. Nun, da ich unerwartet einen ziemlich direkten bis intimen Einblick in die (kompensatorische?) Taetigkeit Schlattners als Gefaengnisseelsorger haben darf und je weiter der Faden der Dialoge zwischen ESch und den Knastbruedern (darunter auch zwei hochgebildete Personen) gesponnen wird, umso mehr erschliesst sich mir etwas von der Gedankenwelt dieser doch beeindruckenden Person. Schlattner liest und bespricht in der Runde das Gleichnis vom verlorenen Sohn, zieht dabei Parallelen zu seiner eigenen Haftzeit [waehrend der er innerhalb von 2 Jahren Einzelhaft in seiner Minizelle nach eigenen Berechnungen 15.000km auf und ab gelaufen ist um sich anschliessend nach der Entlassung fuer drei Monate in einem dunklen Zimmerchen seiner elterlichen Wohnung vor der Welt zu verstecken].

Wie nebenbei leitet er im Gespraech ueber vom Persoenlichen zum Theologisch, zum Philosophischen – um nahtlos zu ganz praktischen, sehr ‘saechsisch’ anmutenden Ratschlaegen fuer die Zeit nach der Haft ueberzugehen. Er fragt, hinterfragt, argumentiert und durchleuchtet von verschiedenen Seiten die Frage von Verirrung und Rueckkehr zur Familie, zu Gott und zu sich selbst; von Suende und Vergebung und macht die Anwesenden zu Beteiligten, die zusammen Ueberlegungen anstellen und gemeinsam zu Schlussfolgerungen gelangen. Und ganz nebenbei vermittelt er auch haeppchenweise sowas wie Allgemeinbildung, laesst sich spontan auf Witze ein, gibt selbst Pointen und Anekdoten von sich und behandelt dabei seine Gegenueber immer ganz selbstverstaendlich mit Respekt und als gleichwertige Mitmenschen.

In den Aufnahmen im Zeidner Knast zeigen sich der 81-jaehrige Pfarrer und seine ‘Jungs’ dank dieser speziellen bis dramatischen Konstellation, in der sie sich filmisch beobachten liessen, von einer unerwartet human-intellektuell-philosophischen Seite, wie man “gewoehnliche” (und auch ungewoehnliche) Mitmenschen nur sehr selten bis niemals zu sehen oder zu hoeren bekommt.
Weiter unten ein Auszug aus der Transkription…

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SCHLATTNER 6288

00.08 S: Er [jemand in der Bibel. Gleichnis vom verlorenen Sohn] sagte drei Dinge: 1. Vater, ich habe gegen den Himmel und dich gesündigt. Zweitens: Vater, ich bin es nicht würdig, dass du mich deinen Sohn nennst. Drittens: “Behandle mich wie einen deiner Knechte!” Und er stand auf und ging zu seinem Vater. Noch aus der Ferne erblickte ihn seinen Vater, der Mitleid mit ihm bekam. Er [der Sohn/der Vater?] lief zu ihm hin, drückte ihn an die Brust und küsste ihn. Der Sohn sprach zu ihm: “Vater, ich habe gegen den Himmel und dich gesündigt. Ich bin es nicht würdig, dass du mich deinen Sohn nennst.” Erst einmal soviel.

01.10 S: “Als ich [er meint den verlorenen Sohn] in dem tiefen Elend war, dass ich mit den Schweinen fressen musste, bin ich zu dir zurückgekehrt.” [Unverständlich] Und er sagte drei Dinge zu ihm. Habt ihr behalten, was er zu ihm gesagt hat?
[Stimme im Off zählt die drei Dinge auf. S. bestätigt.]
01.58 S: Hören wir einmal, [was der Sohn sagte], als er nachhause kam… Sein Vater hatte ihn umarmt… “Vater, ich habe gegen den Himmel und dich gesündigt. Ich bin es nicht würdig, dass du mich deinen Sohn nennst.” [S. fragt]: Und was hat er NICHT mehr gesagt? – etwas das er in der Fremde noch gesagt hatte? Er hatte noch etwas versprochen. [Mann rechts antwortet]: Dass er wie ein Knecht behandelt werden will!

02.51S: Jetzt hat er nicht mehr gesagt: “Mach mich zu deinen Knecht!” Das hat er nicht mehr gesagt! [Er hat nur gesagt] “Es tut mir Leid, entschuldige mir!”
03.04 Mann im Off: [unverständlich; ab 03.19 verständlich]: Wir wollen dann auch so werden wie Gott!
03.25S: Das ist die menschliche Psychologie. Als er [der Sohn] im Elend war, hat er alles mögliche versprochen, nur um dem Elend zu entkommen. Sobald er aber Aussicht hat auf eine Verbesserung seiner Lage, fängt er an [mit Gott/seinen Versprechungen] zu schachern. Diese Erfahrung habe ich auch gemacht: seit 1992, seit 21 Jahren bin ich Gefängnispfarrer; [ab 04.19-04.47 spricht er abwechselnd Deutsch und Rumänisch bzw. über euch.]

04.48S: Ich könnte durchs ganze Land fahren [mit diesem Beruf] und ich könnte darüber auch eine Chronik/ein Tagebuch schreiben. So viele von meinen “Jungs” versprachen mir, ohne dass ich es überhaupt verlangt hätte: “Herr Pfarrer, wenn ich hier noch einmal herauskomme, dann werde ich ein ganz anderer Mensch werden! Ich werde mich um meine Familie kümmern, ich werde in die Kirche gehen, ich werde so wie alle anderen – ein anständiger Mensch. Und in dem Augenblick bin ich überzeugt, dass er auch davon überzeugt ist, dass er das nicht nur will, sondern auch machen wird. “Ich möchte ein Knechte sein, um von hier herauszukommen, und danach mache ich alles besser…”

05.53S weiter: Ich habe aber manchmal den Eindruck, dass, sobald das Gefängnistor aufgeht, der Teufel dort auf einen wartet und wieder auf die schiefe Bahn führt. 06.12: Ich hatte einen Sachsen aus Zeiden/Cisnadie; er hieß Gerhardt – und ich sagte zu ihm: ”Wenn ich es richtig weiß, bist du schon zum 13. Male hier.” Und er sagte zu mir: “Nein, ich bin schon zum 14. Mal hier! Während deiner Abwesenheit, Herr Pfarrer, war ich zehn Tage lang draußen!”

06.44S: Also, die Freiheit ist auch eine Bedrohung, wenn du danach nicht hast, wohin zugehen. Als ich entlassen wurde, bin ich zu meinen Eltern gegangen. Wir hatten zwei Jahre lang nichts voneinander gewusst, sie wohnten auch nicht mehr im selben Haus; sie waren nach Fogarasch umgezogen in eine Zigeunersiedlung. Das spielt aber keine Rolle! Ich hatte, wohin gehen. Wenn du das nicht hast, wenn Du auch nicht mehr die Kraft hast, mit der Freiheit zu kämpfen/es mit der Freiheit aufzunehmen… Herr Priester, Sie wissen selbst, wie schwierig es heute mit der Freiheit ist! Du brauchst pro Tag 30-40 Lei, um nicht vor Hunger zu sterben; Geld, das wir niemand gibt! 07.31: Es ist hier nicht wie im Westen, dass, wenn du entlassen wird, am Tor nicht der Teufel steht, sondern ein “Bewährungshelfer” [sagt das auf Deutsch!]. Einer, der vom Staat dafür bezahlt wird, dass er dich [durch den Alltag] führt; er dich an der Hand nimmt, dich zu einer Unterkunft – sei sie staatlich oder kirchlich – bringt, der mit dir zum Arbeitsamt geht, der dich begleitet, bis du einen Job bekommst und du dir eine Wohnung leisten kannst. Und auch danach kommt er einmal pro Woche um nachzusehen, ob du nicht wieder rückfällig geworden bist. 08.19: Was will ich damit sagen? Ich will euch nicht Angst machen vor der Freiheit, denn die Freiheit [dort/im Westen] ist etwas ganz anderes, als hier. Schaut: Vor 2000 Jahren hatte der Mensch dieselben Probleme wie heute! 08.40: Ich will wieder zuhause sein und ein neuer Mensch werden!, ein anderer, als der, der hierher [ins Gefängnis] gekommen ist. Auch ich bin zwei Jahre lang eingesperrt gewesen von der Securitate, in der Strada Prundului[?]. 09.01: Denkt einmal, ich war zwei Jahre lang in einer 7 m² großen Zelle eingesperrt und wurde nicht ein einziges Mal an die frische Luft gelassen während der zwei Jahre und zwei Tage. [Pendelt mit der Hand hin und her]: Drei Schritte rauf, drei Schritte runter. Insgesamt bin ich 15.000 km in dieser Zelle gelaufen – drei Schritte rauf, drei Schritte runter. Als ich an Neujahr entlassen wurde, konnte ich nicht geradeaus gehen und wurde fast ohnmächtig von der Kälte, der frischen Luft und dem Platz um mich herum.

09.50S: Ich sage es nicht euch, die ihr auf dreistoeckigen Betten schlaft, ich sage es aber den fremden: “Bleibt einmal an einem Sonntagnachmittag eingesperrt und versucht anschließend zu schlafen! [???]” Ich einer hatte großes Glück, denn ich wurde von Klausenburg aus eingesperrt und kam danach zu meinen Eltern. Ich weiß aber, dass mich die Freiheit “erschlagen” hat. Sie hat mich erschlagen. Ich wollte nicht mehr essen. Zum großen Schrecken meiner Eltern bin ich drei Monate lang in einem dunklen Raum gesessen. Ich wollte kein Licht sehen! Die Fenster waren mit schwarzen Vorhängen abgedunkelt. [Wendet sich an euch und spricht euch an…]

11.06S: Und deshalb ist es gut – ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – dass wir uns schon hier darauf seelisch vorbereiten, und nicht nur hier rauswollen! Und wir sollen uns vorstellen, in welchem Maße wir tatsächlich ein anderer Mensch sein werden [nach der Entlassung]. Ich sage es: Das Allerbeste in der Freiheit – nachdem Du aus dieser “Quarantäne”/” Karenzzeit” herauskommst und diese schreckliche Erfahrung des Eingesperrtseins hinter dir hast, ist, dich für andere Menschen zu öffnen. Mir hatte es damals leid getan… In den Ferien im Dezember – meine Mutter hatte ein altes Sofa repariert und mich gebeten ihr zu helfen – und ich hatte nur zu ihr gerufen: “Ich habe keine Zeit! Ich habe keine Zeit!”

ENDE

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Posted by at 01/11/2013
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One Response to Rote Handschuhe, verlorene Soehne und ein deutsches Filmteam. Oder: Mit Eginald Schlattner auf Besuch im Knast

  1. jo-s mok says:

    Schlattner hat noch Wochen danach seinen Besuchern von den Dreharbeiten im Zeidner Gefängnis erzählt… Muss etwas Besonderes sein und der Film etwas Besonderes werden. Man darf gespannt sein.

    p.s. Hansi, sein 80jähriges Jubiläum wurde häufig in der Presse erwähnt…

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