Kapitalismus + Kolonialismus + Revanchismus + Irredentismus = Erster Weltkrieg

 

 

In den osteuropäischen Ländern strebt nach meinem Empfinden das Wissen über die tieferliegenden Gründe für den großen Weltkonflikt Anfang des XX. Jahrhunderts GEGEN NULL. Der Grund dürfte u.a. darin liegen, daß es sich im Osten meist um relativ junge oder nach 1918 neu belebte Staaten handelt, deren jüngere Geschichte engstens mit dem Ausgang (indirekt mit jenen tieferen Gründen) des I. Weltrkiegs verwoben ist. Gleichzeitig war in Osteuropa das nationale Thema bzw. jenes der Selbstbestimmung der Völker (Wilsons 10. Punkt) in deren Geschichtsnarrativ so wichtig bzw. wurde so sehr (und fast ausschließlich) betont oder gar monopolistisch überhöht, daß für Themen wie koloniale Ambitionen, Konkurrenz und Dynamik der Volkswirtschaften, Resourcenkampf, kontinentale oder globale Grenz- und Machtverschiebungen oder gar für lange geplante Waffengänge und Kriegsszenarien der westlichen Großmächte schlichtweg kaum oder kein Raum und wenig oder keine Aufmerksamkeit übrig blieb.

Dabei bleibt in symptomatischen Ländern wie Rumänien außer Acht, daß es eben diese Großmächte waren, die den Ersten Weltkrieg in Gang setzten – woraus logisch abzuleiten wäre, daß die Gründe eben in den Interessen- und Machtkonstellationen JENER Länder/Reiche/Imperien zu suchen sind und nicht so sehr bis gar nicht in den ethnisch-nationalen Rangeleien und Unzufriedenheiten der osteuropäischen “Kleinmächte” und ihrer Staatsvölker. Im Endeffekt kann man feststellen – dabei habe ich explizit Rumänien vor Augen – daß sich der Geschichtsdiskurs zum Zeitraum 1914-1918/20 mit wenigen Ausnahmen in der Historikerzunft in Wissenschaft, Politik und Publizistik wörtlich gesprochen nicht aus den Schützengräben der Staatsideologie oder Propaganda heraustraut. Entsprechend dominieren leere Formeln, schrille Töne, nationale Feindbilder, Stereotypen, blinde Flecken und elementares Unverständnis die öffentliche Debatte – bis hinauf ins akademische Milieu. Quasi XIX. Jahrhundert reloaded – verstärkt durch die medialen Echokammern und die Haudrauf-Diskussionskultur des XXI. Ich denke da konkret an Rumänien und seinen neugewählten Vorsitzenden der Akademie der Wissenschaften, den Agitprop-Historiker und Copy-Paste-Autor Ioan-Aurel Pop.

Daß man für ein umfangreicheres und vor allem reiferes Verständnis der Gründe für den Ausbruch von Wk. I. gar nicht tief in Archive oder Fachliteratur eintauchen muß, sondern nur mit offenen Augen und Ohren Mainstreammedien (westlicher Länder) konsumieren muß, zeigt das zweiteilige ARTE-Video weiter unten – und das dazugehörige Transkript. Die darin vorkommenden Hauptthemen und Schlagworte sind u.a. folgende – und haben definitiv wenig bis gar nichts mit den gegenwärtigen Mainstreamdiskursen in Rumänien zu tun:

1. Europas Bevölkerungs- und Wirtschaftsdynamik samt technischer Dominanz weltweit
2. Deutschlands wachsende demographische, flächenmäßige, wirtschaftlich-technologische Dominanz auf dem europäischen Kontinent – im Kontrast zu den spezifischen Entwicklungen in Frankreich
3. Frankreichs Revanchismus nach dem verlorenen Krieg (samt Territorien) gegen Preußen, 1870
4. Gerangel um Kolonien in Afrika, zwischen England, Frankreich, Deutschem Reich
5. Wechselndes Paktieren und ständiger Verhandlungspoker der europäischen Mächte

6. Nationale Spannungen im östlichen Europa, samt irredentistischen Gebietsforderungen v.a. Italiens an Österreich-Ungarn
7. Kontrolle der Meerengen und Kanäle (Bosporus, Suez) und Rußlands Interesse/Bedürfnis am möglichst ungehinderten Zugang zum Mittelmeer
8. Frankreich will die an Deutschand verlorenen Gebiete von 1870-71 zurückerobern
9. Die konkurrierenden Mächte entwerfen detaillierte Kriegsszenarien und Pläne für den Ernstfall, der einen internationalen Großkonflikt mit einschließt
10. Brutalisierung der Gesellschaften und Kriegsfetischismus
11. Flottenkonkurrenz zwischen Englaand und Deutschland
12. Osmanisches Reich auf dem stetigen Rückzug, samt ntstehenden, nachdrängenden, konkurrierenden Nationalstaaten im Balkanraum

Folgen des Ersten Weltkriegs, u.a. die Entstehung des Sowjetkommunismus und des Nationalsozialismus (samt Wk. II.)

Man sieht also: Auf die Schnelle ist ein Dutzend Faktoren, meist ganz anderer Art als rein ethnisch-nationale Empfindlich- und Befindlichkeiten zusammengekommen – dabei ist das längst nicht alles, reicht aber für den Anfang – und um das verstaubte Geschichtsnarrativ in Ländern wie Rumänien, die durch Wk. I. Gebietsgewinne erzielten, aus den märchenhaften Erzählungen über jahrhundertealte nationale Einigungsbestrebungen unterdrückter Völkerschaften in barbarischen Imperien in die Wirklichkeit berechnender, taktierender bis wertefreier (oft zynischer) Geopolitik zurückzuholen…

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Foto oben: Cecil Rhodes, Schlüsselperson der Kolonial- und Kriegspolitik des Britischen Reiches (Empire) in einer zeitgenössischen Karrikatur. Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Cecil_Rhodes

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Teil 1.

Heute befinde ich mich im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Wir werden uns nämlich zwei Folgen lang mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen – allerdings nicht mit dem Krieg an sich, sondern mit den Ursachen, die zu ihm geführt haben. Heute geht es auch nicht um die unmittelbaren Anlässe wie die Balkankriege und die Ermordung des österreichischen Thronfolgers sondern um die eigentlichen und tiefer liegenden Ursachen – das heißt die politischen, wirtschaftlichen maritimen und kolonialen Rivalitäten zwischen den europäischen Nationen.

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beherrschten die europäischen Mächte einen großen Teil der Welt, was nicht zuletzt auch auf ihrem Bevölkerungsreichtum ruhte, denn die Einwohnerzahl Europas, Russland mit eingerechnet, hat er sich von 195 Millionen im Jahr 1800 auf 422 Millionen im Jahr 1900 mehr als verdoppelt. 1914 lebten in Europa etwa 450 Millionen Menschen – ein Viertel der Weltbevölkerung. Der Bevölkerungsdruck war so groß, dass etwa 60 Millionen Menschen zwischen 1820 und 1914 auswanderten – vor allem in die Vereinigten Staaten aber auch ins übrige Amerika und in die Kolonien. Dazu kam die wirtschaftliche Vormachtstellung Europas mit 88 Prozent des weltweit investierten Kapitals und 80 Prozent der weltweit gehandelten Güter. Europa und die USA lieferten 85 Prozent der weltweiten industriellen Produktion und hatten das Monopol der Stahlherstellung.

Die industrielle Revolution hat Europa im neunzehnten Jahrhundert einen Vorsprung in finanzieller, technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht verschafft. Es war zugleich Fabrik und Bank der Welt und herrschte über den Welthandel. Um die Fabriken und die Wirtschaft am Laufen zu halten, brauchte es allerdings Rohstoffe und Märkte für seine Waren. So trugen das Bevölkerungswachstum und die wirtschaftlichen Bedürfnisse zum dritten Aspekt der europäischen Vormacht bei: der politischen. 1914 waren die europäischen Großmächte nach 40 Jahren kolonialer Expansion überall auf der Welt präsent – insbesondere in Afrika und Asien. Der Kolonialbesitz Großbritanniens und Frankreichs waren die größten und mit dem des Deutschen Reiches, Portugals, Belgiens, Italiens, Spaniens, der Niederlande und Dänemarks umfassten die europäischen Kolonien etwa die Hälfte der Erdoberfläche.

Diese aufschlussreiche Karte wollen wir uns ein wenig länger ansehen: Die europäischen Mächte hatten ihre Wirtschaftssysteme exportiert und für deren Unterhalt Menschen, Anbaumethoden, Juristen sowie natürlich Missionare und Soldaten. Europa war also die vorherrschende Macht, aber eben nicht eine Macht. Im Gegenteil: Europa war vielfältig und gespalten. 1914 lebten 140 Millionen Menschen in Russland, 63 Millionen im Deutschen Reich, 50 Millionen in Österreich Ungarn, 46 Millionen in Großbritannien, 40 Millionen in Frankreich, 36 Millionen in Italien und 19 Millionen im Osmanischen Reich. Mancherorts gab das Anlass zur Sorge. In Frankreich war man wegen der hohen Einwohnerzahl Deutschlands beunruhigt und es gab Bruchlinien in Europa wie z.b. zwischen den großen Industrieregionen und dem Rest Europas, der landwirtschaftlich geprägt war.

Aber auch die industrialisierten Regionen waren unterschiedlich entwickelt und standen in Konkurrenz zueinander. Großbritannien zum Beispiel, Mutterland der industriellen Revolution, lieferte 14 Prozent der weltweiten Industrieproduktion, aber das Deutsche Reich lieferte bereits 15,7 Prozent, denn dort war die Industrie jünger und sie verfügte über dichter beieinander liegende und leistungsstärkere Anlagen. Frankreich wiederum war weit abgeschlagen. Außerdem verstärkten schnellere Produktionsverfahren und kürzere Produktionszyklen die Konkurrenz zusätzlich. Dazu kam ein weiterer Unterschied: Manche Staaten gab es seit langer Zeit, wie Frankreich, Großbritannien und Russland. Andere waren erst viel später entstanden: das Königreich Italien war 1861 ausgerufen worden, das Deutsche Reich war 1871 durch den Zusammenschluss Preußens mit den anderen deutschen Staaten entstanden und die Donaumonarchie war 1867 aus der Vereinigung Österreichs mit Ungarn hervorgegangen. Diesen Vielvölkerstaat wollen wir uns ein wenig genauer ansehen.

Dort machten Deutsche und Ungarn jeweils 24 und 20 Prozent der Bevölkerung aus, also zusammen 44 Prozent. Die slawischen Volksgruppen machten zusammen 45 Prozent aus und dazu kamen Rumänen und Italiener. Deutsche und Ungarn übten jedoch einen übergroßen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die anderen Volksgruppen aus. Deshalb wurde das Habsburgerreich immer häufiger durch Unabhängigkeitsforderungen nationaler, vor allem slawischer Minderheiten erschüttert. Ähnliches galt für den italienischen Irredentismus in Südtirol, Julisch-Venetien und Dalmatien, denn in Italien strebte eine machtvolle panitalienische Bewegung die Eingliederung aller auch nur teilweise italienischsprachigen Gebiete an.

Das russische Reich wiederum verfolgte eine Politik der Russifizierung der nicht russischsprachigen Bevölkerung aus Rumänen, Ukrainern, Polen, Balten, Finnen, Armeniern, muslimischen Volksgruppen und Juden und die widersetzten sich der Russifizierung. Die russische Außenpolitik war mehr und mehr vom Panslawismus geprägt – dem Bestreben, alle slawischen Völker, vor allem die der Balkanhalbinsel zu vereinen. Damit kommen wir zum Osmanischen Reich, den Kranken Mann am Bosporus, wie es damals hieß, das vor dem Krieg ebenfalls eine wichtige Rolle spielte. Das Osmanische Reich hatte 1914 diese Ausdehnung und war seit Mitte des 19 Jahrhunderts erheblich geschrumpft, denn es hatte zahlreiche Gebiete verloren, vor allem in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel, ebenso die meisten Besitzungen auf der Balkanhalbinsel, von dem ihm im Osten nur Thrakien geblieben war und für diese Gebiete interessierten sich sowohl Österreich-Ungarn als auch die serbischen und griechischen Nationalisten, aber auch die Kolonialstaaten Italien, Frankreich und Großbritannien, die an einer Schwächung der Osmanen im Vorderen Orient interessiert waren.

Ebenfalls zu Spannungen in Europa führte die Frage nach der Kontrolle über die Meere und Meerengen, denn der Bosporus und Dardanellen zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer wurden vom Osmanischen Reich kontrolliert. Russland, für den diese Meerengen den einzigen Zugang zum Mittelmeer darstellten, und dessen Schwarzmeerflotte auf der Krim stationiert war, forderte ihre Internationalisierung – das heißt das Recht auf freie Durchfahrt in Friedens- und in Kriegszeiten für Handels- und Kriegsschiffe aller Nationen. Dadurch wollte es sich vor Angriffen aus dem Mittelmeer und aus dem Schwarzen Meer schützen können. Großbritannien allerdings widersetzte sich dem russischen Ansinnen, denn es befürchtete ein Auftauchen der russischen Flotte im Mittelmeer und in Wien fürchtete man, dass Russland die österreichischen Interessen auf dem Balkan durchkreuzen könnte.

Dazu stritten sich Großbritannien und das Deutsche Reich wegen des Suez-Kanals zwischen Mittelmeer und Rotem Meer. Dieser galt zwar seit 1888 als neutrale Zone, aber Großbritannien, das die größte Handelsflotte der Welt besass, wollte die Kontrolle über den neu entstandenen Seeweg nach Asien nicht aufgeben. Das Deutsche Reich wiederum wollte durch den Bau einer Kriegsflotte ebenfalls seine Versorgungswege sichern. In Afrika hatten sich Großbritannien, Frankreich das Deutsche Reich und weitere Länder zuvor um die letzten noch nicht kolonialisierten Gebiete gestritten. Das Deutsche Reich war lange Zeit außen vor geblieben und hatte 1884 zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen auf der über die Aufteilung Afrikas debattiert wurde. Das Deutsche Reich hatte 1914 mehrere Kolonien, nachdem es sich Großbritannien im südlichen und östlichen Afrika und Frankreich in Marokko widersetzt hatte.

Dort hatte das zu zwei Krisen geführt: 1905 in Tanger und 1911 in Agadir, worauf wir in der kommenden Folge näher eingehen werden. Kehren wir zum Schluss nach Europa zurück. Dort wirkte der deutsch-französische Krieg von 1870 nach, am Ende dessen Napoleon der Dritte in Sedan gefangen genommen worden war. Der Krieg hatte zur Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches in Versailles und zur Annexion Elsass-Lothringens durch das Deutsche Reich geführt. In Frankreich führte das zum Revanchismus mit dem Ziel einer Rückeroberung der verlorenen Provinzen. Das Deutsche Reich seinerseits näherte sich ab 1873 dem ehemaligen Gegner Österreich an, um den Wiedereroberungsplänen des französischen Generalstabs zuvorzukommen. Hier sieht man die beiden Kaiser, Franz Joseph und Wilhelm den Zweiten.

Ein typisches Beispiel für sowohl tiefer liegende als auch direktere Ursachen für den Ersten Weltkrieg war die Dreyfus-Affäre. 1894 wurde der französische Hauptmann jüdischer Abstammung, Alfred Dreyfus, wegen angeblichen Verrats militärischer Geheimnisse an das Deutsche Reich verurteilt. Das spaltete die französische Gesellschaft in einem Umfeld aus Antisemitismus und Hass auf das Deutsche Reich. Damals bildete sich in ganz Europa eine volkstümliche Kriegskultur heraus, wie auch auf diesen Postkarten aus Frankreich und Deutschland zu sehen ist. Verstärkt wurde dieses noch durch entsprechende Lehrprogramme, den Krieg verherrlichende Bücher und Kriegsspielzeug, insgesamt also durch eine beginnende Brutalisierung der europäischen Gesellschaften. Es herrschte gewissermaßen ein aggressives Klima im Europa des beginnenden 20 Jahrhunderts und in Frankreich sann man gegenüber dem Deutschen Reich auf Revanche für die Niederlage im deutsch-französischen Krieg und den Verlust Elsass-Lothringens.

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(Teil 2)

Heute befinde ich mich im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu einer zweiten Folge unserer Sendung über den Ersten Weltkrieg; genauer gesagt über die Ursachen die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten. Eine dieser Ursachen war die starke politische, wirtschaftliche, maritime und koloniale Rivalität zwischen den europäischen Nationen. Heute werden wir sehen, wie daraus ein System aus Verteidigungskreisen entstand. Das ist Europa im Jahr 1871, nach dem Sieg Preußens über Frankreich und der Ausrufung des Deutschen Reiches im Spiegelsaal von Versailles. Frankreich hatte Elsass-Lothringen verloren und der deutsche Reichskanzler Bismarck versuchte den neuen Staat vor dem französischen Revanchismus unter anderem durch die Annäherung an den ehemaligen Gegner Österreich zu schützen.

1873 schloss das Deutsche Reich das sogenannte Drei-Kaiser-Abkommen mit Österreich-Ungarn und Russland. 1882 entstand ein neues Bündnis. Diesmal mit Italien, aber ohne Russland, denn die Ambitionen und Aktivitäten des Zarenreiches auf der Balkanhalbinsel sowie seine Ansprüche auf die türkischen Meerengen standen den Interessen Wiens entgegen. Die Haltung Italiens in diesem Dreibund war ambivalent, denn die Regierung in Rom forderte von Wien die Übergabe der italienischsprachigen Gebiete Südtirol, Julisch-Venetien und Dalmatien. Außerdem war Italien finanziell von Frankreich abhängig, da 60 Prozent der italienischen Anleihen an der Pariser Börse gehandelt wurden. 1902 verpflichtete sich Italien in einem Geheimabkommen für den Fall eines deutschen Angriffs auf Frankreich zur Neutralität, und als 1914 der Krieg ausbrach, verhielt sich Italien zumindest vorläufig neutral. Als Reaktion auf den Dreibund entstand ein gegnerisches Bündnis 1907 entstand die Triple Entente aus der britisch-französischen Entente Cordiale, der sich nun das Russische Reich anschloss, denn in London sorgte die geplante deutsche Hochseeflotte von Admiral von Tirpitz für Unruhe.

Zu Kriegsbeginn verfügte Großbritannien über 31 Schlachtschiffe vom Typ Dreadnought, deren Feuerkraft die andere Kriegsschiffe übertraf. Deutschland besaß 20, Frankreich 7, Österreich-Ungarn 4 und Russland ebenfalls 4. Diese beiden Bündnissysteme standen sich also 1914 in Europa gegenüber. Der Dreibund und das Osmanische Reich, das mit Deutschland verbündet und finanziell von ihm abhängig war sowie Rumänien und Bulgarien, die sich durch die russischen Ansprüche auf die türkischen Meerengen bedroht fühlten und die Triple Entente, der sich Serbien anschloss; ein slawischer Staat unter dem Schutz des Russischen Reiches.

Zu dieser Konstellation kam ein Rüstungswettlauf. Zwischen 1870 und 1914 nahmen die Militärausgaben der europäischen Mächte um 300 Prozent zu. Zu Kriegsbeginn im August 1914 betrug die Zahl der Soldaten und Reservisten der Triple Entente etwa elf Millionen und des Dreibund etwa neun Millionen. In Frankreich und in Deutschland wurden Strategiepläne erarbeitet. Auf deutscher Seite ging der Schlieffen-Plan von 1905, der bis 1914 überarbeitet wurde, davon aus, dass die Mobilmachung Russlands aufgrund der Größe des Landes und mangelnder Verkehrsinfrastrukturen sehr lange dauern würde. Deshalb sollte das Gros der deutschen Truppen schnell Frankreich besiegen und zwar unter Verletzung der Neutralität Belgiens und Luxemburgs.

Man wollte die französische Armee schnell ausschalten, um anschließend Russland angreifen zu können. Dem gegenüber sah in Frankreich der Plan XVII von 1913 vor, dass die französischen Truppen im Osten einen deutschen Vormarsch aufhalten und Elsass-Lothringen zurück erobern sollten. Man geht von einem schnellen Angriff Deutschlands gegen Russland aus und zog eine Verletzung der Neutralität Belgiens durch Deutschland nicht in Erwägung. Die Vorbereitungen zur Umsetzung der Pläne liefen an, während sich die Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland durch den Streit um die Kolonien verschärften – unter anderem wegen Marokko 1905 stand das Sultanat Marokko als eines der letzten Gebiete Nordafrikas noch nicht unter europäischer Herrschaft und Frankreich wollte dort ein Protektorat errichten.

Das Deutsche Reich aber wollte den marokkanischen Markt und die damit verbundenen Handelsvorteile nicht aufgeben und eigene koloniale Interessen durchsetzen. Das führte zu einer ersten Krise als Wilhelm der Zweite Tanger besuchte und Sultan Abdel Asis gegenüber erklärte, dass Marokko frei und unabhängig bleiben müsse und er zum Krieg bereit wäre, wenn Frankreich nicht auf seine Pläne verzichten sollte. Zu einer zweiten Krise kam es 1911, als Deutschland das Kanonenboot Panther nach Agadir entsandte.

Nach langen Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland schloss man eine Vereinbarung. Das Deutsche Reich akzeptierte die französischen Ansprüche auf Marokko im Gegenzug überließ ihm Frankreich einen Teil Äquatorial-Afrikas, das sogenannte Neu-Kamerun. 1912 wurde das Protektorat Französisch-Marokko schließlich errichtet. Die europäischen Ansprüche auf Marokko sind ein typisches Beispiel für die damaligen Konflikte. Als der Krieg kurze Zeit später ausbrach, geschah das allerdings nicht aufgrund kolonialer Streitigkeiten, sondern aufgrund der Balkankrise. 1911 sah die Lage auf dem Balkan so aus: Der Süden gehörte zum Osmanischen Reich; außer Griechenland, das seine Unabhängigkeit 1830 erlangt hatte. Serbien war seit 1882 unabhängig. Bulgarien seit 1908, Montenegro seit 1910 und Österreich hatte Bosnien und Herzegowina 1908 annektiert.

Auf der Balkanhalbinsel nahmen der Streit und die Konflikte zwischen ethnischen Minderheiten immer mehr zu. Dazu kam der Machtkampf, den sich Russland und Österreich-Ungarn in der Region lieferten. Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro schlossen sich zusammen, um Mazedonien dem Osmanischen Reich zu entreißen; das heißt seine letzten europäischen Besitzungen. Das mündete in den ersten Balkankrieg, der im Oktober 1912 ausbrach. Im Mai 1913, am Ende des Krieges, wurden die Grenzen zwar nicht offiziell festgelegt, aber man erkennt die Gebietsgewinne der siegreichen Staaten. Außerdem wurde ein neues Land geschaffen: Albanien, dessen Gebiet allerdings von Montenegro, Serbien und Griechenland besetzt war. Insgesamt verlor das Osmanische Reich den größten Teil seiner europäischen Gebiete, aber die Aufteilung zwischen den Siegern erwies sich als schwierig, insbesondere die Mazedoniens, das von dem sich benachteiligt fühlenden Bulgarien beansprucht wurde. Daraufhin brach im Juni 1913 der zweite Balkankrieg aus, in dem diesmal Bulgarien seinen einstigen Bündnispartnern Serbien und Griechenland sowie Rumänien und dem Osmanischen Reich gegenüberstand.

Im August 1913 war der Krieg mit diesen Gebietsgewinnen beendet: Das besiegte Bulgarien musste Griechenland und Serbien einen Großteil Mazedoniens überlassen; Serbien war somit aus beiden Balkankriegen siegreich hervorgegangen und stieg zur wichtigsten Regionalmacht im Balkanraum auf. Um es zusammenzufassen – was natürlich fast unmöglich ist: Es gab Konflikte zwischen neuen Staaten und Konflikte zwischen untergehenden Reichen, Minderheitenkonflikte und nationalistische Bestrebungen und auf dem Balkan kamen alle diese unbeherrschbaren Spannungsfaktoren zusammen.In diesem Umfeld kam es dann in Sarajevo am 28 Juni 1914 zu einem Attentat, dessen Motiv auf all diesen Spannungsfaktoren beruht. Der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, wurde zusammen mit seiner Frau von einem bosnischen Serben erschossen, der für die Unabhängigkeit Bosniens kämpfte. Österreich-Ungarn machte Serbien dafür verantwortlich und stellte dem Land mit der Rückendeckung durch das Deutsche Reich ein Ultimatum, zu dessen zehn Forderungen die Teilnahme von Österreichern an der Aufklärung des Attentats gehörte.

In Belgrad empfand man das als eine Einmischung in die Angelegenheiten Serbiens und wies das Ultimatum zurück. Am 28 Juli erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Am 30 Juli erklärte Russland, das mit Serbien verbündet war, Österreich-Ungarn den Krieg, und nun begann der Mechanismus der Bündnissysteme Triple Entente und Dreibund. Am ersten August erklärte Deutschland Russland den Krieg. Frankreich, wo am 31 Juli der Pazifist Jaures von einem Geistesgestörten ermordet worden war, ordnete die Mobilmachung zur Verteidigung Russlands an. Am dritten August erklärte Deutschland Frankreich den Krieg und verletzte gemäß dem Schlieffen-Plan die Neutralität Belgiens. Das war ein casus belli für Großbritannien, das Deutschland am vierten August den Krieg erklärte. Der Erste Weltkrieg hatte begonnen.

Der Erste Weltkrieg führte zur Entstehung der ersten parlamentarischen Republik in Deutschland, nach der Ankunft Lenins in Moskau zur Gründung der UdSSR und zur Entstehung der beiden totalitären Diktaturen, dem Stalinismus und dem Nationalsozialismus. Übrigens sind Veranstaltungen zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg in Frankreich sehr viel mehr verbreitet als in Deutschland. Hier scheint man auch heute noch mehr darüber nachzudenken welchen Schaden der Nationalsozialismus in Deutschland und Europa angerichtet hat, als sich verpflichtet zu fühlen, sich mit dem ersten Weltkrieg zu befassen.

Posted by at 20/12/2018
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2 Responses to Kapitalismus + Kolonialismus + Revanchismus + Irredentismus = Erster Weltkrieg

  1. Gabriel says:

    Dl. Hans, eventual si o versiune in lb. romana?

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