Ein graussenliche erschöckenliche Hystorien von dem wilden Wütrich Dracole Wayde…

Text von Keno Verseck; mit Bildern gar reich verziert von Hans Hedrich (mit eigenen und nicht nur)…
Veroeffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors. Originalartikel erschien unter dem Titel:
Dracula aus dem Altersheim. Die wirklich wahre echte Geschichte des transylvanischen Blutsaugers

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„Hie facht sich an gar ein graussenliche erschöckenliche hystorien von dem wilden wütrich Dracole wayde. Wie er die leut gespist hat. vnd gepraten.“
Anonyme Schrift, Nürnberg 1499

Dracula wurde in einem deutschen Altenheim in Transylvanien geboren. Die Umstände seiner Geburt waren bizarr, die seines Werdeganges verschlungen. Alles begann im Jahr 1976 auf der mittelalterlichen Festung zu Schässburg.

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Das Haus am Museumsplatz/Ecke Pfarrgasse diente damals noch als Altenheim der evangelischen Gemeinde der Siebenbürger Sachsen. In besagtem Jahr renovierten Bauarbeiter das Paulinus-Haus, so benannt nach seinem ersten Besitzer aus dem 16. Jahrhundert. Im Saal des ersten Stockes stießen die Arbeiter auf ein Wandbild aus dem 17. Jahrhundert. Es zeigte vier Personen. Drei waren im damaligen siebenbürgischen Stil gekleidet, die vierte Gestalt hingegen mit Turban.

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Ein gewisser Gheorghe Baltag hörte davon. Baltag, ein windiger Schässburger Museumsdirektor, war, wie fast alle rumänischen Historiker, schon lange von einer Idee besessen: Der, dass in dem bis 1918 ungarisch beherrschten und im Mittelalter von deutschen Siedlern aufgebauten Siebenbürgen die Rumänen seit alters her eine entscheidende, doch bisher unbeachtete Rolle gespielt hatten.

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Walachische Weltgeschichte
Als Baltag von dem Turban erfuhr, hatten die Bauarbeiter das Bild schon halb zerstört. Turbane, das wusste Baltag, hatten im Mittelalter die walachischen – also die südrumänischen – Adligen getragen. Er wusste auch, dass der walachische Wojewode Vlad Dracul von 1431 bis 1435 im Schäßburger Exil gelebt hatte. Wo genau, hatte keiner sächsischen Chronisten erwähnt. Innerhalb der Festungsmauern konnte es jedoch nicht gewesen sein – denn das war allen Fremden, darunter selbst Königen, streng verboten. Auch war das Paulinus-Haus erst hundert Jahre nach Vlad Draculs Schässburger Zeit erbaut und das Bildnis wiederum hundert Jahre nach dem Bau des Hauses gemalt worden. Aber Baltag trotzte den Tatsachen. Der Mann auf dem Bild mußte Vlad Dracul sein. Baltag publizierte seine Erkenntnisse 1977 im “Magazinul istoric”.

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Die Veröffentlichung setzte die Schässburger Stadtverwaltung unter Zugzwang. Die Genossen wußten, dass der Diktator Ceausescu, selbst gebürtiger Südrumäne, walachische Beiträge zur Weltgeschichte überaus schätzte. Also entschieden sie: Vlad Dracul hatte im Paulinus-Haus gelebt! Sie warfen die Alten kurzerhand aus ihrem Heim und montierten ein Schild an die Außenwand: “Hier wohnte von 1431 – 1435 Vlad Dracul”. Im Haus richteten sie 1978 das Restaurant “Vlad Dracul” ein, nebst einer Ausstellung mit dem Titel: “Schässburg – Zeitweilige Hauptstadt des Wojewoden Vlad Dracul”.

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Der Einzug des walachischen Herrschers in den bedeutenden Teil der Weltgeschichte kam allmählich voran. Noch ahnte niemand, dass der Geist aus der Vergangenheit Schässburg auf unerwartete Weise heimsuchen würde. Der Grund dafür lag fünfhundert Jahre zurück und bestand in einem Mißverständnis: Nicht Vlad Dracul war die historische Vorlage für jenen blutdurstigen Dracula gewesen, sondern dessen Sohn Vlad Țepeș: Vlad der Pfähler. Er – und niemand anders – war in den Jahren seiner Herrschaft über die Walachei, 1456 bis 1462, mit schrecklichen Grausamkeiten berühmt geworden.

Aber Dracul klang ungleich besser als Țepeș. Darüber waren sich schon die mittelalterlichen Siebenbürger Sachsen einig gewesen. Ihnen hatte Vlad Țepeș die Handelswege durch die Walachei abgeschnitten, manche waren auf seinen Pfählen geendet. Die Überlebenden aber verbreiteten in ganz Europa von Rachsucht diktierte Greuelgeschichten, in denen der Pfähler “Dracole wayde” hieß. Von diesen Schauergeschichten ließ sich Bram Stoker inspirieren, der Schöpfer des 1897 erschienenen Romans “Dracula”.

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Dracula-Tomatensuppe, lieblicher Vampir-Wein
Nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu im Dezember 1989 erkannten rumänische Geschäftsleute, dass mit walachisch-rumänischen Nationalismus nichts mehr zu holen war. Touristen – und mit ihnen das Geld – würden wegen Dracula ins Land kommen, nicht wegen eines obskuren Herrschers der sich Tepes schrieb, aber Tsepesch aussprach.

Das Restaurant “Casa Vlad Dracul” bekam im Innenhof des Gebäudes eine schicke Sommerterasse, genau dort, wo Baltag einst, als gerade die Kanalisation repariert wurde, nach Münzen und Tonscherben gescharrt hatte. Die Ausstellung verschwand, an ihre Stelle traten ein Dracula-Bild und eine Dracula-Büste. Die Gäste würden nicht nachforschen. Wer meinte, dennoch die Wahrheit verkünden zu müssen, würde am Ende als Spielverderber dastehen.

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Der Unternehmer Adrian Gherca kaufte das Restaurant vom staatlichen Tourismusamt. Geben wir den Touristen, was sie suchen!, ruft er seitdem jedem entgegen, der es wissen will. Der Gast ist König, serviert wird, was bestellt war. Die eklektizistische Dracula-Pfähler-Ritterburg-Staffage in der “Casa Vlad Dracul” ist womöglich als Kompensation für die Gerichte der Speisekarte gedacht: Es gibt Dracula-Tomatensuppe, die schmeckt wie aus der Tüte, zähes Pfähler-Schaschlik, dazu lieblichen Vampir-Wein, das Ganze begleitet von lautstarker Dancefloor-Musik.

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Dracula-Kitsch wie aus Chemiewaffen-Laboren
Wie Adrian Gherca vermarkten auch andere Geschäftsleute in Schässburg den walachischen Fürsten. In Souvenirläden bieten sie Dracula-Kitsch feil. Dorian Feier, ein junger Künstler mit Pferdeschwanz, schnitzt und malt Draculas Konterfei im Dutzend, gleich vor dem Burgtor in einer kleinen Werkstatt. Die Touristen kaufen das, sagt er, Hauptsache es steht der Name Dracula darauf. Nur Feiers alter Geschichtslehrer beschwert sich, dass sein ehemaliger Schüler Historienfälschung betreibe.

Freilich: Angesichts dessen, was man ein paar Meter weiter burgaufwärts vorfindet, erscheint Feier wie ein Gralshüter des authentischen Kunsthandwerks. Da verkaufen Händler an mobilen Ständen einen überwiegend an chinesischen Fließbändern produzierten Dracula-Plastik-Souvenirkitsch, der aussieht, als stamme er direkt aus Chemiewaffen-Laboren.

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Kitsch, lass nach! (Quelle + lesenswerte Analyse des Schaessburger Kitschphaenomens auf Rumaenisch hier>>>)

Seien wir großzügig! Schässburg, dieses Schmuckstück siebenbürgisch-sächsischer Kultur, dieses idyllische Kleinod im tiefen Herzen Transylvaniens, ist die ideale Kulisse für die rührende Geschichte vom blutsaugenden Dracula. Lieblich grünende Hügel rahmen das Städtchen ein. Auf einem steht die mittelalterliche Burganlage, die einzig vollständig erhaltene in dieser Hälfte Europas: verwinkelte Gässchen, uralte Gemäuer, der Stundturm mit seiner Spieluhr, die Bergkirche, Bürgerhäuser, deren Steine aus vielen Jahrhunderten erzählen – kein Bühnenbildner könnte es ursprünglicher nachbauen.

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Wo sonst hätte Dracula Obdach finden sollen? Etwa in Târgoviște, dem wahren Wohnort von Vlad dem Pfähler, in Südrumänien? Die spärlichen Burgruinen, die dort stehen, sind nicht von Bergen, sondern von tristen Neubauten und Industrieanlagen eingerahmt.

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Oder am Borgo-Paß in Nordrumänien, wo der Vampir in Bram Stokers Roman seinen Wohnsitz fand? In Wahrheit konnte diese verwilderte Gegend lange Zeit nichts vorweisen als elende Hütten sonderbarer Bergbauern. Erst vor zwei Jahrzehnten ließ ein verrückter Kreistourismusfunktionär – Parteimitglied zwar, aber auch heimlicher Dracula-Jünger – eine Bergspitze neben dem Borgo-Paß sprengen und auf dem so entstandenen Plateau ein Burg-Hotel errichten. Nach dem Sturz des Diktators durfte dieses Bauwerk im realgotischen Stil endlich den Namen des blutsaugenden Grafen tragen. Die Gewölbe des Hotels sind seither mit Vampiren und nackten, euterbrüstigen Frauen in Signalfarben verziert.

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Schließlich wäre da noch die Törzburg bei Kronstadt. Einst ein wertkonservatives Museum, würden seine Leiter im tiefsten Grunde ihrer Seele nicht zögern, die Burg radikal umzugestalten, um mit Dracula in das ganz große Vampir-Geschäft einzusteigen. Allein, nicht einmal eine Armada von Baltags könnte eine Verbindung zwischen der Törzburg und Vlad dem Pfähler herstellen, denn es gibt keine. Diese Leere zu füllen, gelang auch den geschäftstüchtigsten Törzburger Händlern nicht, die im Umkreis der Burg aufblasbare Vampir-Puppen, Dracula-Gummimasken, Vlad-der-Pfähler-Unterhemden und Blutsauger-Baseball-Schläger zum Kauf darbieten.

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Streit um die physiologischen Vorgänge beim Pfählen
Dem Ziel, Schässburg zur alleinigen Dracula-Hauptstadt zu machen, verschrieben sich die Stadtväter schon vor Jahren mit Leib und Seele. So weihten sie 1996 neben dem Bürgermeisteramt eine Büste des Pfählers ein. Bei dem pompösen Historienspiel zur Einweihung marschierten mittelalterlich gekleidete Soldaten auf. Schässburgs bessere Gesellschaft feierte den walachischen Fürsten als grausam-gerechten Herrscher. Er hatte die korrupten Bojaren, die Diebe und die Türken zu Tausenden aufgespießt. Damals herrschte Ordnung im Land.

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Heute lassen sich frisch vermählte Hochzeitspaare in Schässburg vor der Büste des Pfählers ablichten. Vlad blickt dazu aus großen, leeren Augen. Von Zeit zu Zeit finden im Vlad-Dracul-Gasthof okkulte Kongresse statt, zu denen die Koryphäen unter den Vampirologen anreisen. Exaltierte Gerichtsmediziner streiten beim Mittagessen über die physiologischen Vorgänge beim Pfählen.

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Aber sehr zum Leidwesen der Stadtverwaltung haben die modernen Mongolenhorden, genannt Touristen, Schässburg noch immer nicht wirklich erstürmt. Daran hat auch ein großes Mittelalter-Festival nichts geändert, welches die Stadtherren jeden Sommer veranstalten. Auf diesem Festival wird zwischen Gothic-Metal, Bier und Bratwurst alles geboten außer Mittelalter, und es verwandelt Schässburg regelmäßig in eine riesige Müllhalde. Was bei derartigen Events an historischer Bausubstanz zerstört wird, lässt die Stadtverwaltung bei Gelegenheit mit Schnellbeton restaurieren.

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Flop der Dracula-Volksaktie
Der Schässburger Bürgermeister Dorin Dăneșan hängt noch immer dem vor bald einem Jahrzehnt geplatzten Traum vom Dracula-Park nach. Damals sollte am Rande von Schässburg ein riesiges Disney-Draculaland gebaut werden, mit Phantasieschlössern, unterirdischen Verliesen und Grotten, Sport- und Golfplätzen, Restaurants, Bars, Hotels und Villen sowie einem vampirologischen Kongreßzentrum. Kein mordender, nein, ein moderner Dracula würde es sein, ein Sanfter, kein Kinderschreck, es werde keinen Satanskult geben, versprach der damalige Tourismusminister.

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Als er den „Dracula-Plan“ zu einem „Regierungsprojekt von nationalem Interesse“ erklärte, spitzte sich die Situation im Parlament aufs Äußerste zu. In einer legendär chaotischen Sitzung ging es darum, ob die Dracula-Legende als solche die nationale Würde der Rumänen beleidige. Zahlreiche Abgeordnete verloren die Kontrolle über sich. Schließlich stieg der Tourismusminister aufs Podium, blickte aus großen, müden Augen kalt in den Saal und sprach das Schlusswort: „Dracula existiert, ob wir wollen oder nicht.“

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Dennoch wurde der Dracula-Park niemals gebaut. Kunsthistoriker und Denkmalschützer hatten zusammen mit dem Transylvanien-vernarrten Prinzen Charles erfolgreich protestiert, die deutsche Firma, die das Projekt finanzieren sollte, sprang ab, die rumänischen Dracula-Volksaktien floppten.

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Es muss nicht immer Pfählen sein
Der Bürgermeister Dorin Dăneșan hofft dennoch, dass der Vampir die Stadt eines Tages vor dem Bankrott retten wird. Dăneșan regiert das Städtchen seit bald anderthalb Jahrzehnten, wechselt die Parteien wie Socken und wurde 2011 erstinstanzlich wegen Amtsmissbrauchs und Betrugs zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Im Gespräch outet sich Dăneșan als Verehrer des Pfählers und offener Anhänger seiner Regierungsmethoden. Zwar machte der Bürgermeister in seinem eigenen Kriminalfall lieber vom Rechtsstaat Gebrauch und ging in Berufung. Doch ansonsten gerät er in verzücktes Schwärmen: Wenn so ein Mann wie Țepeș herrschen würde, dann wäre Rumänien endlich ein zivilisiertes Land. Die Diebe, die Wirtschaftsverbrecher, die perversen Pädophilen, die Drogenhändler…, es müßte ja vielleicht nicht gleich der Pfahl sein…

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Draußen, neben dem Bürgermeisteramt, blickt der Pfähler aus großen, leeren Augen. Wer genau hinschaut, sieht, dass er mit eisiger Würde grinst.

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Posted by at 27/01/2013
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2 Responses to Ein graussenliche erschöckenliche Hystorien von dem wilden Wütrich Dracole Wayde…

  1. Reinhard says:

    Sers Kuseng!

    guter Artikel! LG

  2. Florin A. says:

    There is nothing German or Hungarian in the culture of Transylvania.
    The Hungarians lived in tents for more then 200 years after arriving in Oanonia in 950 AD. The Germans were invited by the Catholics (not Hungarians per say)
    The Lords of the Hungarians were Romanian Catholics

    The Saxon and Hungarians were influenced by the Romanian/Wallachs in arhitecture and everything

    http://historum.com/ancient-history/62034-goths-vandals-really-germans-11.html

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