“Der Sprachkampf in Siebenbuergen” (1842) – Versuch einer Kurzrezension
Der historisch belesene Sachs weiss vage von Stephan Ludwig Roths Buechlein mit obigem Titel – kennen tut er es in der Regel jedoch nicht, da seit seiner Veroeffentlichung Mitte des 19. Jhs. viel Zeit ver- bzw. Wasser die Grosse Kokel bei Mediasch hinuntergeflossen ist…
St. L. Roth. Quelle: Wikipedia
Lesens- und beachtenswert ist das beinahe postmodern anmutende, engagierte, flott geschriebene, mitunter beissend ironische und explizit humanistisch-antinationalistisch ‘grundierte’ Heft (75 S.) auch 170 Jahre nach seiner Veroeffentlichung in Kronstadt allemal. Und zwar, weil es:
1. mit ganzheitlichem Ansatz und prophetischer Gabe den gerade aufkommenden Sprachnationalismus und Ethnohegemonialismus der Ungarn in Siebenbuergen geisselt;
2. dadurch implizit auch den spaeteren Sprachnationalismus und Ethnohegemonialismus der Rumaenen (nach 1918) seiner Rechtfertigungen entkleidet;
3. dadurch implizit den spaeteren herrenmenschlichen Nationalismus seiner siebenbuergisch-saechsischen Volksgenossen waehrend der 1930er-40er Jahre ebenfalls desavouiert.
Und viertens bietet es dem heutigen Leser rueckblickend und in einer Gesamtschau das allzumenschliche, epochenuebergreifende Spektakel des individuellen und gruppenweisen Strebens, Rangelns, Uebervorteilens usw. der Spezies Mensch, Subspezies homo europeaus.
Ausgehend von einem Gesetzesentwurf des siebenbuergischen Landtages von 1834, der die Einfuehrung des ‘Madjarischen’ als alleiniger Amtssprache im multikulturellen Transylvanien vorsah, nimmt “Doktor und Magister” Roth eine tiefschuerfende und schonungslose Grundsatzkritik der Haltung der ungarischen (adligen) Standesnation gegenueber den – man moechte fast sagen “mitwohnenden Nationalitaeten” der Region – vor.
In acht Kapiteln durchleuchtet Roth mit roentgen-aehnlichem Blick die Hintergruende, Motive aber auch die moeglichen Auswirkungen und Folgen der beginneneden Verungarischungsbestrebungen in “Erdely-Orszag”. Fuer die ungarischen Eliten schien ihre zahlenmaessige Unterlegenheit samt geopolitischer Zwangssjacke im verwaltungsmaessig deutsch dominierten, bevoelkerungsmaessig stark slawisch/rumaenisch gepraegten Suedosten/Osten des Habsburgerreiches der Grund fuer die langfristig angelegten Magyarisierungsbestrebungen gewesen zu sein.
Darauf, wie kontraproduktiv sich diese Politiken auf das Zusammenleben mit den anderen Volksgruppen auswirkten und wie gefaehrlich sie fuer den spaeteren Fortbestand Grossungarns sein wuerden, versucht der Autor (und evangelischer Pfarrer) in bild- und gleichnishafter, gleichwohl auch analytisch scharfsinniger Sprache hinzuweisen. Geholfen hat es nichts. Roth wurde 1849 von einem revolutionaeren ungarischen Standgericht in Klausenburg erschossen. 1918 ging wiederum Grossungarn schmerzvoll und unvermeidlich in die Brueche.
2018 werden ehrliche und einsichtige Zeitgenossen wohl einsehen – und manche auch so laut wie Roth 1842 hinausposaunen – dass die “rumaenische Loesung” fuer Siebenbuergen nicht minder desastruoes war wie einst die aufgezwungene ungarische, wurde doch Siebenbuergen im 20. Jh. ausser dem Sprachkampf (nunmehr unter rumaenischem Vorzeichen) auch der Kulturkampf (Kulturkrampf?) zwischen Ost und West, Byzanz und Rom beschert.
Graebt man tiefer im Buechlein des mutigen Pfarrers und Paedagogen Roth aus Nimesch/Meschen und liest man sein Werk zumindest abschnittsweise mit Muße und historisch-detektivischem Blick, so entdeckt man so manche Erkenntnisperle, die uns auch die gegenwaertigen (oft widerwaertigen) Verhaeltnisse im Suedosten Europas in groesserem historischem, leitmotivischem Kontext sehen lassen. So zum Beispiel sieht Roth einen Grosskonflikt zwischen Ost und West und mit Beteiligung des unaufhaltsam aufstrebenden Russland aufziehen, der an der geostrategisch wichtigen Barriere der Donaumuendung ausgetragen werden wird. Etwas mehr als hundert Jahre nach Erscheinen des Buechleins beherrschten “die Russen” fuer die naechsten 50 Jahre eben diese Donaumuendung – und Schwarz- oder auch Hellseher schliessen nicht aus, dass sie in naher Zukunft die Suedukraine vereinnahmen und somit wieder im noerdlichen Donaudelta stehen werden.
Aber lest doch selbst! Es ist die Muehe (Frakturschrift!) wert!
LINK: “Stephan Ludwig Roth: Der Sprachkampf in Siebenbuergen”
Im LINK: “Stephan Ludwig Roth: Der Sprachkampf in Siebenbuergen” fehlen leider alle Seiten ab Seite 53! Bitte den Link korrigieren. Danke. Das Buch ist großartig! Gut gefällt mir z.B.: …”Es ist diese Tatsache nicht zu leugen. Sobald zwei verschiedene Nationsgenossen zusammenkommen, die ihre Sprache nicht können, ist gleich das Walachische, als dritter Mann, zum Dolmetschen da.” usw… Roth sah also das ‘Genossenschaftswesen’ in Rumänien gar prophetisch voraus…