Budapest wird mir langsam sympathisch
Über Jahre hatte ich eine kritisch distanzierte Meinung zu Budapest. Die arrogant-ueberdrehte Selbstinszenierung vieler mediokrer Ungarnhauptstaedter loeste bei mir die typische Enttaeuschung des unverstandenen Siebenbuergers aus. Ich mied in den letzten paar Jahren sogar Aufenthalte in Ungarn, diesem von inneren Qualen und aeusseren Peitschenhieben zerriebenen, zu Depressionenen neigenden Land.
Bei meinem jetzigen Besuch in Budapest spuere ich jedoch kaum etwas oder nur sehr wenig von dieser negativen Energie. Die Stadt wirkt aufgeraeumt und nicht mehr ganz so zynisch hedonistisch und vulgaerfrivol wie z.B. waehrend der Zeit meines Studienaufenthaltes 2004 bis 2005.
Egal ob das der Orbanregierung, ueber die man als kritischer Zeitgenosse nicht wirklich positiv schreiben darf, oder sonstwem mit zu verdanken ist – Budapest erlebe ich gerade als eine Stadt der Normalitaet, die sich dem Besucher gegenueber insgesamt nicht mehr so verbissen und nervoes in den Weg stellt wie noch vor Jahren.
Freundliche Museumswaerter, auskunftsfreudige Strassenkehrer, nichtueberdrehte Computerspezialisten in der Laptopwerkstatt, wunderbares Buffet auf der Tagung an der Andrassy-Uni, ehrlich freundliche Rezeptionisten und Bedienungen in der Herberge. Diese ist eine Art Design- Hostel, wo du fuer 9 – in Worten: neun – Euro pro Nacht allein im 6-Bett-Zimmer schlafen kannst. Und das in extrem zentraler Lage in Pest.
Diese Stadt und scheinbar auch dieses Land sind vielleicht endlich wieder im Frieden mit sich selbst, egal, was die Welt ueber sie erzaehlt bekommt. Und wenn auch Orban einen Beitrag dazu geleistet hat, indem er den pseudoliberalen Exkommunisten-Ungeist seiner Gegner niedergerungen hat, dann BRAVO ihm! Trotzdem: bloed, das er das mit leicht bis mittelschwer undemokratischen Mitteln geschafft hat…
Filtert man diesen ungarischen Stand der Dinge durch die Brille der europa- und weltweit zunehmenden, teilweise erfolgreichen Auflehnung gegen den neoliberal verbraemten Abzockerkapitalismus in angloamerikanischem Kleidchen, so wird man sagen können, Ungarn weiss, was es tut – selbst wenn das WIE noch problematisch ist… Ungarn und die Ungarn koennten laengerfristig Recht bekommen in ihrer Sicht der Dinge und Politiken. Und das auch mit Blick auf Lage der Ungarn in den Nachbarstaaten… Rumaenien faellt gegen Ungarn in der Entwicklung immer mehr ab und wirkt von hier aus gesehen in jeder Hinsicht wie ein weltfremder Hampelmann ohne Wuerde und ohne Gespuer fuer’s Peinliche. Ungarische Wuerde koennte dereinst den rumaenischen Patienten retten…
PS: Am zweiten Tag meines Aufenthaltes bestaetigt sich im Wesentlichen mein bisheriger Eindruck, wenn auch mit einigen Einschraenkungen. Im Computerladen wollten sie kein Geld fuer die Laptop-Diagnose, dafür war das Essen im Lokal kantinenmaessig von der Qualität her und gleichzeitig krass ueberteuert. Eine Aktivistin von Amnesty International erzaehlte von Schikanen der Budapester Behoerden und davon, dass Ungarn angeblich auf deren inofizieller schwarzer Liste sei. Nicht zuletzt traf ich auf der Strasse zufaellig Kinga, eine langjaehrige Freundin aus Neumarkt am Mieresch, was wiederum sympathisch ist und typisch. Haben uns bisher dremal zufaellig in drei verschiedenen Staedten wiedergesehen.
Die Tagung wiederum ist inhaltlich sehr reich und eroeffnet neue Perspektiven auf das leidige Thema Nationalismus in HU und RO. Im historischen Rueckblick erscheint mir die Selbstverständlichkeit der chauvinistischen staatlichen Schikanen peinlich bis gehirnkrank. Allein das Zuhoeren tut schon weh. Geplante Forschungsprojekte zum Vergleich der Staatsnationalismen im historischen Ungarn und Rumaenien versprechen Grundstuerzendes: Ungarns Magyarisierungspolitik – so schlimm sie auch gewesen ist – war im Vergleich zur Rumaenisierung in Altrumaenien oder auch Franzoesisierung in Frankreich allem Anschein nach weniger aggressiv und erfolgreich. Soviel erstmal von hier… Unten noch ein paar Bilder von der Tagung…
“nicht mehr ganz so zynisch hedonistisch und vulgaerfrivol wie z.B. waehrend der Zeit meines Studienaufenthaltes 2004 bis 2005”
Naja, man fragt sich schon, wo du dich aufgehalten hast, so 2004 und 2005 in Bp. Mir kam die Stadt auch in den Jahren nicht hedonistisch und vulgärfrivol vor, ich wüsste gar nicht anzugeben, was das sein und von welcher (neokonservativen?) Warte aus ich das beurteilen soll.
Wie wäre es mal wieder mit einem Umweltthema? Wie z.B. diesem:
http://totb.ro/biserica-versus-arie-naturala-protejata-cazul-bucegi/
Würde besser zum Blog passen.
ZB Vaci utca, beste Innenstadtlage mit ihren flanierenden Huren und den Tittenlokalen. Aehnliches fiel/faellt im Zentrum Bukarests auf. Nichts gegen die betreffenden Etablissements und so, jedoch ist deren zentrale Lage fuer mich ein Zeichen gewerblich angefachten ‘Vulgaerhedonismus’.
Schon mal in Hamburg, in Amsterdam usw. in entsprechenden Straßen gewesen?
Mit Verlaub, diese Argumentation ist hanebüchen und nicht ernst zu nehmen.
hamburg oder amsterdam haben dafuer die entsprechenden viertel eingerichtet usw. in BUP mischte sich alles total unorganisiert. das ist der unterschied.
freier anwerben auf offener strasse in der stadt ist wahrscheinlich auch in ungarn illegal, wenn auch toleriert.
Ofenpesth hat seit dem Systemwechsel rund 15 % seiner Bevölkerung eingebüßt.
Warum schreibt ein Herr Hedrich darüber nichts?
Der Bevölkerungsverlust Ungarns ist nicht so dramatisch wie der Rumäniens oder Bulgariens, aber für das Land unangenehm genug. Dass dabei sogar die Hauptstadt noch stärker als der Rest des Landes in Mitleidenschaft gezogen worden ist, sollte bedenklich stimmen. Die Menschenflucht setzt in Ungarn mit einer längeren Verzögerung ein. In Ofenpesth war sie bereits gut erkennbar. Von ca. 2,060.000 Bewohner im Jahre 1980 sank die Bevölkerung auf ca. 1,745.000 im heurigen Jahr.
Es wird durchaus darüber geschrieben, z.B. auch in deutschsprachigen Zeitungen in Ungarn.
http://www.balaton-zeitung.info/nachrichten/budapest-einwohnerzahl-stark-gesunken.html
Konkrete Maßnahmen gegen diese verheerende Entwicklung fand keine ungarische Regierung des neuen Systems bislang der Mühe für wert. Man war und ist nur damit befasst sich und allenfalls noch der allerengsten Klientel die eigenen Taschen zu stopfen. Siehe z.B. das neue ungarische „Tabakmonopol“, wo mittels Taschespielertricks Orbongefolgschaft mit relativ lukrativen Pfründen versorgt worden ist. Die vorhergehende „linke“ Regierung war um keine Jota besser …
Würde es zu weit gehen, sich auf eine differenzierte Ursacheforschung zu begeben? Der verlinkte Artikel tut ansatzweise ja auch das, man muss das ja nur zitieren wollen:
“Ursachen dafür könnten die Verschlechterung der Lebensumstände durch eine möglicherweise ungenügende Zahl von Arbeitsplätzen, zu lange Anfahrtswege zur Arbeit und höhere Lebenshaltungskosten sein, wodurch eine Wanderungsbewegung in die umliegenden Gemeinden der Stadt, sowie weniger Geburten zu verzeichnen sind.”
Ich selbst kenne viele Leute, die aus Budapest in die umliegenden Gemeinden gezogen sind, weil sie sich dort ein Haus gekauft haben und der schlechten Pester Luft entfliehen wollten.
P.s. Dass es davon unbeeinflusst in den letzten etwa 5 Jahren mehr als 200.ooo (bis hin zu 500.000) Menschen Ungarn verlassen haben, ist auch Fakt.
… gehen Sie eher von 500.000 aus, das ist realistischer. Wobei möglicher Weise auch diese Zahlen geschönt sein könnten …
Das Orbangesindel ist ein ebensolches Lumpenpack wie es das Gyurcsánygesindel war und unverändert ist.
“Feine Ungarn” meinen, dass sie gerade mal zwischen Pest und Cholera wählen dürfen. Das Ergebnis sei häufig bis fast immer der “Tod”.
“Politisch völlig unkorrekte Ungarn” machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube und vermeinen ganz unfein, dass man sie gerade mal zwischen einem kleptomanischen Judenbengel und einem größenwahnsinnigen Zigeunerbankerten wählen lasse. Solche rassistischen Einstellungen sind natürlich von übervorgestern …
Thank you for your honest and well written article. Sorry for not writing in German, but I would be grateful if you could have a look at my article and English about the current tension between Orban and Western liberal press and mainstream politics: http://beyonddelusions.blogspot.co.at/2014/08/hungary-end-of-freedom-or-1956-reloaded.html