Ach ja: 25 Jahre Mauerfall. Erinnerungen aus dem kommunistischen Rumänien

Es dürfte ziemlich genau um diese abendliche Uhrzeit passiert sein, jenes historische Ereignis… Meine Erinnerung aus dem kommunistischen Rumänien an jene Tage ist vage, der hinterlassene Eindruck aber doch sehr deutlich: Mein Onkel in Rode besaß zu jener Zeit eine der wenigen, damals noch sch_ißteuren Satelitten-Empfänger (um die 2000 DM) – und die spielte in dieser Geschichte eine entscheidende Rolle.

Ich war im Frühsommer 1989
gerade dem Lyzeum entworden und hatte mich auch einigermaßen durch das Bakkalaureat gemogeltschlagen. In Deutsch schaffte ich eine ehrliche 10 (ich glaub, es war etwas mit Christa Wolf, DDR-Schriftstellerin), in Rumänisch und Mathe schaffte ich unehrliche 7 Komma etwas.
Abschreiben wurde von der Aufsicht diskret toleriert, da die Schulen hohe Erfolgsquoten ‘nach oben’ an die Behörden melden mußten. Das half jenen, die wie ich mangels Auswahl und Talent auf der “Mathe-Physik”-Abteilung lernen mußten und idealerweise Ingenieur oder Fräser im staatlichen Betrieb ‘Nicovala’ werden sollten. Die Humanabteilung war an der Bergschule Schäßburg schon früher abgeschafft worden…

Zurück zum Spätherbst jenen Jahres: Als frischer Schulabgänger lebte ich außer vom Verliebtsein von meiner Hoffnung, das Gefängnis Rumänien bald verlassen zu können – wir hatten genauso wie Zigtausende Mitsachsen den Ausreiseantrag gestellt und warteten schon ungeduldig auf die Ausreisebewilligung. Heute bedauere ich, daß alles so gekommen ist. Aber so “mußte” es ganz offensichtlich sein. So hatten es die ‘Großkopfeten’ in Ost und West beschlossen. An manchen Abenden diskutierten wir mit meinem Vater auch die Option, illegal über die Grenze ins damals frisch gewendete, freie Ungarn zu entwischen. Damals ein lebensgefährliches Unterfangen.

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Eine Aufnahmeprüfung auf eine Hochschule in Rumänien hatte ich gar nicht mehr erst versucht. Meine Zukunft, mein Leben war woanders. Das hier nur ein Wartesaal, wo man sich die Zeit möglichst angenehm zu machen versuchte. Die Ferien verbrachten wir als Schüler bei den Großeltern auf dem Land, im Ferienlager, im Gebirge und die alternativen unter uns später auf dem legendären FKK-Sandstrand in 2Mai und Vama Veche.
Ganz beliebt und häufig waren in jener Endzeit in den Sachsendörfern die Samstagnacht-Bälle mit lokalen Musikkombos, die das Repertoire von Flipper (aber nicht nur) rauf und runter spielten (‘Palma, tatatam! Palma, tatatam! Palma, Palma de Mallo-ooorca!) In den Multikulti-Städt(ch)en wie Schäßburg tobte man sich auf den rauschenden “Abschiedskefs” von auswandernden Freunden mit Pink Floyd, Janis Joplin, Mercedes Sosa aus…

Hatte inzwischen Infomaterialien von Sozialpädagogik-Fachhochschulen in Deutschland angefordert – und sogar bekommen. Das war mein alternativer Studienwunsch in Deutschland – wobei ich insgeheim Dokumentarfilm studieren wollte. Um ehrlich zu sein: Eigentlich sah ich mich expeditionsmäßig durch Nordafrika und hippiemäßig durch Indien reisen und dabei Dokumentarfilme machen…

Mein Onkel in Rode war in jenem halben Jahr der existentiellen Schwebe nach dem “Bak” und vor unserer erhofften Ausreise (oder meinem unerhofften Militärdienst?) die willkommene Oase in der Informations- und Hoffnungswüste jener Zeit.. Über seine 2-Meter-Satellitenschüssel auf einem dicken Stahlrohr in der Hofmitte, die mittels eines Scheibenwischermotors auf die passenden Satelliten justiert werden konnte, flimmerte die bunte, weite Welt in die Wohnküche des altehrwürdigen Bauernhauses meines umtriebigen ‘Adolf-Onkel’. Dort verbachte ich mehrere Wochen und ‘zog’ mir hungrig 3sat-Sendungen rein und exotische Reiseberichte eines unbekannten Senders aus Norwegen oder so. Mein jüngerer Cousin (Dolfi) schaute RTL und SAT1 und ich verstand das nicht…

Ob ich den 9. 11. 1989 in Rode ‘erwischte’ oder nicht, weiß ich gar nicht mehr. Die bereits damals ikonischen und klassischen Bilder vom Trabbistau an den Übergängen, der gestürmten Berliner Mauer, den Menschentrauben an den Grenzübergängen, die Live-Schaltungen zur Aktuellen Kamera des DDR-Fernsehens – das habe ich aus Rode noch (vage) in Erinnerung. (Ebenso die Bilder der Prager Botschaftsflüchtlinge und der Freiheitszüge nach Deutschland vom Oktober jenes Jahres, ebenso die Bilder vom Durchschneiden des Maschendrahtzaunes zwischen Ungarn und Österreich im August oder so.)

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Einige Tage nach dem 9. 11. las ich im Neuen Weg (grins) eine Stellungnahme von Diktator Ceausescu zu einem “10-Punkte-Plan” zu Deutschlands Zukunft, in der er sich gegen die Wiedervereinigung aussprach. Wiedervereinigung? Was ist denn das, fragte ich mich… Was hat die Maueröffnung mit der Wiedervereinigung zu tun, fragte ich mich damals, der Politik von Herzen verabscheute und nicht kapierte und womit ich nichts zu tun haben wollte. Eines war mir in jenem November 1989 aber trotzdem klar: Wenn/Falls es jemals zu einer ‘Wende’ in Rumänien kommen sollte, dann endet das blutig. Deswegen haßte ich Politik, weil sie damals daraus bestand: Willst du Freiheit, machen wir dich tot!
Dieses sind meine Erinnerungen an die Zeit des Mauerfalls…

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Was danach geschah: 
– Anfang Dezember fiel ich durch die Führerscheinprüfung – dabei konnte ich schon seit meinem 16. Lebensjahr (dank meines Vaters) autofahren… Frust.

– Um den 18. Dezember kam ich von einer mißlungenen Schitour frühzeitig aus dem Hargita-Gebirge nach Hause und mein Vater empfing mich mit den neuesten Nachrichten, die wir regelmäßig über Radio Europa Libera und Deutsche Welle auf unserem altehrwürdigen Grundig-Radiorekorder hörten: ‘Es’ hatte auch bei uns im Land begonnen. In Temeswar.

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– Am 21. Dezember stellte ich bei den Kerzenständern am Eingang der orthodoxen Kirche in Schäßburg ein Papp-Schild mit der Aufschrift “Für die Toten Temeswars” auf. Die Kirche war leer. 20 Minuten später war das Schild weg. Die Kirche war immer noch leer.

– Am 22. Dezember stand ich mit meinem Vater demonstrierend in Neumarkt / Tg. Mures vor den bewaffneten und scheinbar mit Drogen geimpften Soldaten, die am Tag zuvor um die 10 Protestierer in der Stadtmitte erschossen hatten. Wir hatten gGlück: An dem Tag schossen sie nicht mehr in die Menge. Ein paar Stunden später floh Ceausescu. Spät abends entfernte ich mit Schäßburger Freunden (Heinz L., Joachim A.) die Ceausescu- und Partei-Poster in den Klassenräumen der Bergschule. Am selben Abend verfassten wir die erste Petition des ‘revolutionären’ Schäßburg.

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(Pseudo)Revolution in Schwarz-Weiß mit Direktübertragung

– Irgendwann im Januar gab es die ersten Führerscheinprüfungen nach der ‘Revolution’. Nach nur 200 Metern Fahrt ließ mich der prüfende Polizist seitlich ranfahren. Ich hatte bestanden.

– Am 28. Februar 1990 reiste ich aus Rumänien aus und plumpste in eine neue Welt in Oberbayern hinein. Meine Eltern kamen erst 3 Wochen später. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten und war mit einem Cousin (Hansi B.) mitgefahren.

– Im März-April-Mai lernte ich mehrere Auffanglager und Übergangswohnheime in halb Deutschland kennen. Und den Unterschied zwischen Übersiedlern (DDR-Bürger) und Spätaussiedlern (unsereins) bzw. zwischen ‘Deutschen’ (Sachsen aus der DDR) und ‘Volksdeutschen’ (Sachsen aus Siebenbürgen). War nicht weiter schlimm, aber auffällig; ein bisschen wie Deutscher mit Fragezeichen. Das wollte ich nicht sein, obwohl ich später merkte, daß ich einer war.

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– Am 3. Oktober 1990 stand ich zusammen mit meinen frischgebackenen Kollegen vom “Sonderlehrgang” (zur Anerkennung der Reifeprüfung und Erlangung der deutschen Hochschulreife) – allesamt Siebenbürger-Sachsen und Banater Schwaben nachts am Brandenburger Tor und feierte deutsche Wiedervereinigung. Zufällig geriet ich ins Visier eines (japanischen?) Kamera-Teams. Sie fragten mich irgend etwas und dann plötzlich: “Kommst du aus dem Osten oder aus dem Westen?” Tja… Egal, was ich gesagt hätte, es wäre falsch gewesen. Damit war die Identitätsfrage gestellt… 😉

– Von 1991 bis 1994 schacherte ich in Rumänien fleißig mit schrottreifen Autos, die ich aus Deutschland hierher überführte. Die Profitmargen waren prächtig, da die Nachfrage enorm, das Angebot wegen Visazwang für rumänische Staatsbürger eher bescheiden war. Mit dem so verdienten Geld fuhr ich zweimal nach Nordafrika in die Wüste. Ich hatte meinen Jugendtraum wahrgemacht. Danke, Deutschland! Und: Danke, Rumänien! 🙂

– Im Frühjahr 1995 fiel ich durch die Aufnahmeprüfung der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen, Abteilung Dokumentarfilm. Ich begann Politikwissenschaften zu studieren. Und gleichzeitig im Dokumentarfilmbereich zu arbeiten. Nochmal: Danke, Deutschland!

– Seit 2005 lebe ich wieder in Rumänien, habe eine Abneigung gegen Autos und mühe mich ab im Umweltschutz mit einem ohnmächtigen Rechtsstaat, der von den gewendeten Exkommunisten und deren opportunistischer Entourage und Nachkommen gekapert und blutegalartig ausgesaugt wird. Und trotzdem möchte ich nirgendwo anders leben als hier!  Danke, Siebenbürgen!

– Seit 2 Jahren lese ich wieder regelmäßig den Neuen Weg… 😉

– Und heute finde ich es untragbar, wenn jemand abschreibt (und keine “Gänsefüßchen” setzt).

Danke, liebe Mauerstürmer und Grenzöffner für das, was ihr am 9. 11. getan habt! Ohne euch hätten ich/wir den historischen 22. 12. 1989 in Rumänien nicht erlebt! Und wenn es jemals wieder nötig sein sollte, tun wir es wieder!

Posted by at 09/11/2014
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2 Responses to Ach ja: 25 Jahre Mauerfall. Erinnerungen aus dem kommunistischen Rumänien

  1. Anonymous says:

    Verarsche zur xten Potenz!

    Mittlerweile ist rund die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung Rumäniens außer Landes.

    Alles was nur irgendeinen volkswirtschaftlichen Wert in Rumänien hat wurde um einen eingetrockneten Poppel an “westliches Kapital” übergeben.

    Keine – wie auch immer beschaffene – rumänische Regierung hat noch irgendwelche Möglichkeiten im Lande durchzugreifen. Keinerlei Möglichkeiten einer eigenständigen rumänischen Kapitalkkumulation oder irgendeiner sonstigen selbständigen rumänischen wirtschaftlichen Aktivität.

    Rumänien verkam endgültig zur verlängerten Werkbank fremden Kapitals und Lieferant von “Humankapital”, dessen Reproduktionskosten das von EU und Nato geschundene und niedergedroschene Land ohne jeglichen Ersatz stemmen muss.

    Aus ist´s!

    So wie es auch komplett aus ist mit den Siebenbürger Sachsen. Es gibt keine siebenbürgersächsischen Dörfer mehr, keine Kinder sprechen mehr Siebenbürgersächsisch! Die Siebenbürgersachsen haben sich zu billigen schäbigen willfährigen Trotteln degradieren lassen ohne jegliche nennenswerte Eigenaktivitäten!

  2. Konrad Adenauer says:

    Klaus Werner Johannis hat unsere Stimme !

    Seine Mission: Statul de Drept !!!

    https://www.facebook.com/klausiohannis?fref=ts

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